Abstract zu:

Schmidt-De Caluwe, Reimund:

Der Verwaltungsakt in der Lehre Otto Mayers : staatstheoretische Grundlagen, dogmatische Ausgestaltung und deren verfassungsbedingte Vergänglichkeit / Reimund Schmidt-De Caluwe. - Tübingen : Mohr Siebeck, 1999. - XXII, 333 S.

(Jus publicum ; 38)

Zugl. rechtshistor. Teil von: Gießen, Univ., Habil.-Schr., 1998

Habil.-Schr. u.d.T.: Bestandskraft rechtswidriger Verwaltungsakte

ISBN 3-16-147025-7

Die vorgelegte Untersuchung zu den dogmengeschichtlichen Grundlagen des Verwaltungsakts geschieht nicht allein in rechtshistorischem Interesse, sondern vor allem zur Kritik der Konservierung althergebrachter Strukturen in der heutigen Rechtspraxis. In keinem Bereich ist der Einfluß der gegen Ende des vorigen Jahrhunderts von Otto Mayer entwickelten Verwaltungsrechtslehre heute noch einflußreicher als im Recht des Verwaltungsakts. Die bekannte Aussage Otto Mayers "Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht" wird hier rechtssoziologisch eindrucksvoll bestätigt. Aus der Perspektive der gegenwärtigen Verfassungslage provoziert dies eine kritische Reflexion, weil das Verwaltungsrecht im Prozeß seiner Ausbildung zur besondere Rechtskategorie bis in die Verästelungen hinein durch das Staatsverständnis des monarchischen Konstitutionalismus determiniert war. Dies wird hier für das Institut des Verwaltungsakt bis in die dogmatischen Feinheiten hinein nachgewiesen. Die Abhängigkeit der klassischen Lehre von obrigkeitsstaatlichen Prämissen zeigt sich dabei allgegenwärtig. Bei alle dem wird das Verdienst Mayers um die Entwicklung des deutschen Verwaltungsrechts nicht in Frage gestellt. Die Kritik gilt vielmehr der ahistorischen Tradierung der Mayerschen Strukturen in der heutigen Rechtsdogmatik. Otto Mayers System des Verwaltungsrechts, das in seiner Erfindung des Verwaltungsakts den typischen Ausdruck fand, konnte letztlich über formal-rechtsstaatliche Ansätze nicht hinausführen, weil sein Dreh- und Angelpunkt die absolutistische Staatsidee war. Ohne die Verankerung in der von Mayer metaphysisch und deshalb vorrechtlich begriffenen Staatsidee verliert sein System jeglichen Halt und verliert auch sein bis heute prägendes Verständnis des Verwaltungsakts den vermeintlich sicheren Boden. Damit stellt sich die Aufgabe, das Recht des Verwaltungsakts auf der Basis der demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsgrundlage zu rekonstruieren.

Inhaltsübersicht:

 

Erster Teil: Fünf einleitende Bemerkungen 1

 

I. Die Rechtswirkungen des Verwaltungsakts sind bis heute
umstritten und rechtsdogmatisch ungeklärt 1

II. Wirkungskraft tradierter Elemente im
heutigen Verwaltungsrecht 4

III. Skepsis gegenüber der systemleitenden Funktion der
Handlungsform – Verwaltungsakt und Verwaltungs-
rechtsverhältnis 10

IV. Zum Zusammenhang zwischen aktuellen dogmatischen
Defiziten und tradierten Dogmen 17

V. Beispiel: Verfassungsrechtliche Problematik rechtlicher
Maßgeblichkeit rechtswidriger Verwaltungsakte 18

 

Zweiter Teil: Kontinuität dogmengeschichtlicher Prämissen
in gewandelter Verfassungslandschaft - Problemaufriß
24

 

I. Die Verwaltungsrechtslehre Otto Mayers als die
historisch maßgebliche Grundlage des Rechts
des Verwaltungsakts 24

II. Das Dogma der Rechtsschutzfunktion des Ver-
waltungsakts als Beispiel der epocheübergrei-
fenden Wirkungskraft der Mayerschen Lehre 31

III. Effizienz und Praxistauglichkeit der Mayerschen
Lehre als Kontinuitätselement 39

IV. Der Bürger als "emanzipierter Untertan" -
weitere Aspekte obrigkeitsstaatlicher Strukturen
des heutigen Verwaltungsrechts 41

V. Weitere Untersuchung 54 95

 

Dritter Teil: Der Verwaltungsakt in der Verwaltungsrechtslehre Otto Mayers - Die dogmengeschichtliche Verankerung zwischen
der absolutistischen Staatsidee und der Rechtsstaatsidee des Konstitutionalismus
58

 

1. Kapitel: Eingangsthese - Otto Mayers Verwaltungsrechts
lehre als "Legalisierung des Polizeistaates" 60

 

2. Kapitel: Moderner Staat, Rechtsstaat und Verfassung
als die maßgeblichen "Ideen" der Epoche 67

I. Otto Mayers Ideenverständnis 67

II. Der "moderne Staat" 69

III. Die Rechtsstaatsidee im Verfassungsstaat 83

IV. Die Verfassungswende 1918/19 und Otto Mayers
Kontinuitätsdogma - Verwaltungsrechtslehre
mit anachronistischem staatstheoretischem und staatsrechtsdogmatischem Unterbau 125

 

3. Kapitel: Die Strukturen des Verwaltungsrechts bei Otto Mayer 144

I. Grundlage: Das Verwaltungsrecht als Konkretisierung
der maßgeblichen "Ideen" 144

II. Das öffentliche Recht als Gebiet des allgemeinen
Gewaltverhältnisses 146

III. Das öffentliche Recht als Ordnung der
öffentlichen Gewalt 148

IV. Die Bindung der Exekutive an das Verwaltungsgesetz 179

V. Subjektive öffentliche Rechte 196

4. Kapitel: Der Verwaltungsakt als Vollendung des Rechtsstaats 256

I. Methodik der "Erfindung" 256

II. Funktionen des Verwaltungsakts: Rechtsbe-
stimmung für den Untertanen und Instrument
der Justizförmigkeit der Exekutive 261

III. Kritik der autonom-normativen Bestimmungskraft
des Verwaltungsakts - die Gegenposition Hans Kelsens
als Anknüpfungspunkt 285

5. Kapitel: Der rechtshistorische Standort Otto Mayers Verwaltungsrechtslehre und die Konsequenzen ihrer
rechtsstaatlichen Adaption 319

I. Otto Mayers Lehre als "Übergangsrecht" der verfassungspolitischen Zwischenepoche des
deutschen Konstitutionalismus 319

II. Die Verteidigung des monarchischen Prinzips
Verwaltungsrecht 322

III. Zur Unmöglichkeit der Rezeption der Verwaltungs-
rechtslehre Otto Mayers im demokratischen
Rechtsstaat 326

 

Vierter Teil: Verfassungsrechtliche Koordinaten
einer rechtsstaatlichen Dogmatik des Verwaltungsakts
334

1. Kapitel: Der Verwaltungsakt vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Ordnung 334

I. Die Aufgabenstellung: Abkehr von dem Kontinuum
"Staat" 334

II. Verfassungsrechtliche Prämissen der
Verwaltungsaktsdogmatik 342

III. Verortung des Geltungsgrundes des Verwaltungs-
akts im positiven Recht 349

 

2. Kapitel: Strategien zur Legitimation der
Bindungswirkung des rechtswidrigen Verwaltungsakts
auf der Grundlage des heutigen Verfassungsrecht
und ihre Kritik 356

I. Die herkömmlichen Bausteine einer verfassungs-
rechtlichen Rechtfertigung der einseitigen 358
Anordnungsmacht der Exekutive

II. Desiderate der herkömmlichen verfassungs-
rechtlichen Legitimationsstruktur 360

III. Der Grundsatz der Rechtssicherheit als verbleibende
verfassungsrechtliche Basis rechtswidrig verbindlicher
Verwaltungsakte - Zur Konturenlosigkeit der her-
kömmlichen Argumentation 373

IV. Bilanz und Ausblick 381

V. Schlußbemerkung 384