Fallstudie zur Bedeutung erhöhter Salzkonzentrationen im Beregnungswasser unter den humiden Bedingungen Mitteleuropas
Neumann, K.-H. und B. Pauler
Institut für Pflanzenernährung der Justus-Liebig-Universität Gießen
10d) Karotten
Während bei Karotten der Wasserstress ohne Einfluß auf die Ertragsbildung blieb, war bei beiden Salzvarianten der Wurzel- und der Sproßertrag deutlich reduziert (Tabelle 33). In einem zwei Jahre später nochmals durchgeführten analogen Versuch, auf den hier nicht näher eingegangen werden soll, trat dagegen der Trockenstress deutlicher mit einer Ertragsdepression in Erscheinung. Bei letzterem wurden nicht alle oben für die anderen Pflanzenarten beschriebenen Untersuchungen durchgeführt, so daß für die vergleichenden Untersuchungen nur der im gleichen Jahr wie die Versuche mit Sommerweizen und Zuckerrüben durchgeführte besprochen werden soll.
Auch bei Karotten ist die Na- und die Cl-Konzentration nach NaCl-Applikation deutlich erhöht. Interessant ist nun, daß bei Karotten durch Trockenstress die
14C-Fixierung pro 1g Frischsubstanz der Gesamtpflanze gegenüber der Kontrolle und der Salinitätsvariante erhöht ist (s. Tabelle 33). Der Wert der Salinitätsvariante entspricht dem der Kontrolle, jedoch ist bereits, wie bei den Versuchen mit Zuckerrüben, nochmals eine Erhöhung der 14C-Markierung der Gesamtpflanze bei Einwirkung beider Stressoren festzustellen.Wie bei der Zuckerrübe ist auch bei der Karotte die Vorratswurzel sowohl das Ernteorgan als auch der in diesem Entwicklungsstadium bei der
14C-Applikation dominierende Sink für Assimilate. Während bei den beiden Versuchsgliedern mit Salzapplikation die Assimilatzufuhr zur Wurzel deutlich reduziert ist, kann bei Trockenstress eine Erhöhung festgestellt werden. Diese Förderung kann jedoch offenbar nicht ertragswirksam werden.Betrachtet man den Einfluß der beiden Stressoren auf das Hormonsystem der Karotte (Tabelle 34), so ist bei den beiden Trockenstressvarianten im Sproß eine deutliche Erhöhung der IES-Konzentration und der von ABA festzustellen. Während bei der Zuckerrübe die IES-Konzentration in Wurzel und Sproß etwa gleich sind, ist bei der Karotte die IES-Konzentration in allen Versuchsgliedern im Sproß bedeutend höher als in der Wurzel. Sehr niedrige IES-Konzentrationen in der Karottenwurzel wurden auch früher schon in anderen Untersuchungen (BENDER, 1984) festgestellt. Auch in der Wurzel der Karotte konnte eine leichte Erhöhung der IES-Konzentration bei Trockenstress festgestellt werden, während auch hier die des Salzversuchsgliedes der Kontrolle entspricht. Auch die ABA-Konzentration ist in Sproß und Wurzel der Karotte bei beiden Trockenstress-Versuchsgliedern gegenüber der Kontrolle erhöht. Anders ist dagegen die Situation bei den Cytokininen einzuschätzen. Hier ist bei Trockenstress in Sproß und Wurzel sowohl die Konzentration der Gesamtfraktion als auch die aller erfaßten Cytokinine gegenüber der Kontrolle und auch den beiden Salzversuchsgliedern reduziert. Wie aus früheren, in einem anderen Zusammenhang durchgeführten Untersuchungen bekannt ist (PALUSSECK, 1982; PALUSSECK u. NEUMANN, 1982), kann in diesem Entwicklungsabschnitt dem Cytokininsystem (in negativer Interaktion mit den Gibberellinen) eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der Karottenwurzel zugeschrieben werden. Möglicherweise ist dies die Ursache dafür, daß die bei Trockenstress verstärkte Assimilatzufuhr zur Wurzel als Folge der gleichzeitig reduzierten Cytokininkonzentrationen nicht ertragswirksam werden kann. Sollte dies der Fall sein, dann würden die häufig als "Sink-Promotoren" betrachteten Cytokinine ohne Einfluß auf die Regulation der Zucker- oder besser Assimilatzufuhr zur Wurzel anzusehen sein. Es kämen andere eher mit der Osmoregulation der Wurzelzellen im Zusammenhang stehende Mechanismen der Stoffwechselregulation in Frage. Die bei Trockenstress reduzierte Cytokinin-Konzentration würde die Wirkung der in erhöhter Menge der Wurzel zugeführten Assimilate zur Wachstumsleistung verringern und so eine Erhöhung osmotisch wirksamer Assimilate ergeben. Dies würde für einen physiologischen Anpassungsmechanismus der Karotte an Trockenstress sprechen.
Wie die Kohlenhydrat-Bestimmung in Karottenwurzeln unter Trockenstress zu zwei Terminen im August und September 1994 ergeben hat (Tabelle 35), sind zu beiden Ernteterminen statistisch signifikant höhere Glucose-Gehalte bei nicht beeinflußtem Saccharose-Gehalt unter Trockenstress vorzufinden. Dieser Befund entspricht der Beobachtung eines verstärkten Assimilat-Transportes unter diesen Bedingungen (s.o.), ohne daß auch in diesem Versuch eine Ertragswirksamkeit der verstärkten Substanz-Einlagerungsvorgänge in die Speicherwurzel zu beobachten war. Die Wiederholung dieses Versuchs im Jahre 1995 erbrachte im Prinzip die gleichen Ergebnisse.
Diese Ergebnisse sprechen dafür, daß das Phytohormonsystem, die Photosynthese und die Assimilatverteilung durch Trockenstress beeinflußt werden, daß aber offenbar diese verschiedenen physiologischen Bereiche unter Gesichtspunkten der Ertragsbildung weitgehend unabhängig voneinander Veränderungen erfahren. Es wäre interessant zu prüfen, wie weit die Applikation von Cytokininen bei Trockenstress zu einer Ertragserhöhung der Wurzel führt, wie dies beispielsweise über eine Erhöhung der Nährstoffwirkungseffizienz durch Cytokininapplikation bei Phosphat- oder Stickstoffmangel bei Karotten der Fall ist (BENDER et al., 1986). Da bei den beiden Salinitätsversuchsgliedern bei praktisch gleicher Cytokininkonzentration wie in der Kontrolle die Assimilatzufuhr zur Wurzel reduziert ist, kommt es zu der hier für diese Versuchsglieder beschriebenen Ertragsdepression.
Diese Untersuchungen zeigen sehr deutlich die unterschiedlichen Reaktionsmechanismen der drei von uns untersuchten Pflanzenarten auf die beiden Stressoren "hohe Salzkonzentration im Beregnungswasser" und "Trockenheit" in einem für die jeweilige Pflanzenart für deren Ertragsbildung wichtigen Entwicklungsstadium. Solche Abweichungen gelten jedoch auch zwischen Zuckerrüben und Karotten, bei denen mit der Vorratswurzel ein ontogenetisch vergleichbares Organ das Ertragsziel ist.
Wie weiter oben bereits angeführt, wurde bei Zuckerrüben die Untersuchungen zum Reaktionsmechanismus auf saline Bedingungen etwas weiter verfolgt. Das Hauptphotosynthesesystem der Zuckerrübe ist als C3-Pflanze der Calvin-Zyklus mit der Rubisco als Schlüsselenzym. Jedoch ist auch bei solchen Pflanzen die Aktivität einer PEPCase, der sonst für C4- und CAM-Pflanzen charakteristischen Primär-Carboxylase, nachzuweisen. Wie der Tabelle 30 zu entnehmen ist, wird dieses Enzym unter Salzstressbedingungen sowohl in seiner Konzentration als auch in seiner Aktivität in Blättern dieser Pflanzen erhöht. Eine Erhöhung der Konzentration von aus der Aktivität dieses Enzyms resultierenden Metaboliten konnte in Karotten- und Erdnußzellkulturen durch exogene Saccharosezufuhr über die Nährlösung erzielt werden (BENDER et al., 1985 sowie GROSS et al., 1993). Wie der Tabelle 28 zu entnehmen ist, ist im Gegensatz zu Karotten bei Zuckerrüben die Akkumulation von Assimilaten und, entsprechend allgemeiner Erfahrung, von löslichen Kohlenhydraten im Sproß - obgleich hier nicht ermittelt - erhöht. Es wäre zu prüfen, wie weit auch bei dieser Pflanzenart als Folge einer erhöhten Zuckerkonzentration in photosynthetisch aktiven Zellen im Sproß dieser CO2-Fixierungsweg eingeschlagen wird. Zwar wird bei einer Erhöhung der Aktivität eines "partiellen C4-Weges der Photosynthese", wie er früher für Zellkulturen beschrieben wurde (GROSS et al., 1993), die Aktivität der Rubisco herabgesetzt. Durch einen exakten quantitativen Vergleich wäre zu prüfen, wie weit trotz herabgesetzter Rubisco-Aktivität der durch erhöhte Zuckerakkumulation in den Blattzellen geförderte PEPCase-Weg für die erhöhte Assimilationsleistung der Zuckerrübe unter Salzstressbedingungen zu einer verstärkten Assimilatzufuhr zur Wurzel beiträgt.
Eine Verschiebung der Kohlenstoff-Fixierung von der Rubisco zur PEPCase kann auch durch Phosphatmangel ausgelöst werden (BENDER et al., 1986), wobei auch einer verstärkten exogenen Zuckerzufuhr eine zentrale Bedeutung zugemessen werden konnte (GROSS et al., 1993). Offenbar kommt der endogenen Zuckerkonzentration für die Entwicklung der Pflanzen eine größere Bedeutung zu, als dies generell angenommen wird. Dies geht auch aus Untersuchungen hervor, in denen gezeigt werden konnte, daß auch für die Entwicklung von Embryonen in Zellsuspensionen geringe, unter Ernährungsgesichtspunkten unbedeutende Zuckerkonzentrationen notwendig sind (GRIEB et al., 1994). Offensichtlich kommt dem Zuckerangebot neben dessen nutritiver Bedeutung auch eine die Entwicklung und Differenzierung steuernde regulatorische Funktion zu. Möglicherweise können solche physiologisch-biochemischen Untersuchungen dazu beitragen, Marker für Selektionen in Zuchtprogrammen oder auch für gentechnische Eingriffe zu liefern.
Um den Einfluß pflanzlicher Hormone auf das Wachstum und den Stoffwechsel von Nutzpflanzen untersuchen zu können, ist deren externe Applikation, entweder allein oder in Kombination mit anderen Wirkstoffen, besonders naheliegend, wobei als Applikationsverfahren besonders die Samen-Vorbehandlung vor der Aussaat herangezogen wurde. Bei der nun folgenden Literaturdiskussion ist zu berücksichtigen, daß die bei Sommerweizen, Zuckerrüben und Karotten unter Salz- oder Trockenstress beobachteten Veränderungen einiger physiologischer Kennwerte durch zuvor eingestellte Konzentrationsrelationen in der endogenen Konzentration pflanzlicher Hormone zustande gekommen sind und nicht als Folge einer externen Hormonapplikation.
Zahlreiche Autoren berichten von einer Verbesserung oder Aufhebung der unter Salzstress zu beobachtenden physiologischen Veränderungen, wenn die Samen von Weizen, Mais und Erbse mit GA3 und/oder Kinetin behandelt wurden (ALDESUQUY, 1995 und 1998; DATTA et al., 1998; KAUR et al., 1998¸ KHAN a. SRIVASTAVA, 1998; GADALLAH, 1999). Dabei wurde vor allem die bei Salzstress beobachtete Anreicherung von ABA abgesenkt (ALDESUQUY, 1995 und 1998; DATTA et al., 1998). Andererseits wurde aber auch durch eine externe ABA-Applikation eine Verbesserung des Wachstums von Hafer bei Salzstress gefunden (POPOVA et al., 1995). Durch die ABA-Applikation wurden dabei die bei Salzstress gesenkte Aktivität von Rubisco und die erhöhte Aktivität von PEPCase normalisiert und erhöhte Na- und Cl-Konzentrationen erniedrigt. Die externe ABA-Applikation führte zu einer Erhöhung der endogenen ABA-Konzentration in den Blättern.
CACHORRO et al. (1995) applizierten ABA zu normal bewässerten Pflanzen von Phaseolus vulgaris und stellten dabei ähnliche Veränderungen in der Physiologie dieser Pflanzen fest wie nach einem Wachstum unter salinen Bedingungen. Sie vermuten daher eine ABA-spezifische Stimulation zellulärer Prozesse, die zu einer osmotischen Anpassung führen. Nach Untersuchungen von BONETTA und MC COURT (1998) an Arabidopsis-Mutanten mit unterschiedlicher Reaktion auf ABA deuten auf komplexe Wirkungsmechanismen von ABA bei der Steuerung auch anderer Stoffwechselprozesse hin (Samenruhe, Regulation des Blattwassergehaltes, Adaptation an Kälte-, Trocken- und Salzstress).
Bei der Untersuchung des Expressionsmusters des SalT Gens in Reis (Oryza sat.) durch einen externen Zusatz von ABA und Gibberellinsäure, jeweils mit und ohne Salzstress, kamen GARCIA et al. (1998) zu Ergebnissen, die auf eine unabhängige Wirkung dieser beiden Pflanzenhormone mit möglicherweise antagonistischer Signalweiterleitung hindeuten. Da bekanntlich auch Kinetin zu den Antagonisten von ABA zählt, würden die Ergebnisse von GARCIA et al. (1998) vermutlich auch für Kinetin zutreffen.
Die in der vorliegenden Abhandlung beobachtete Erhöhung des Prolingehaltes wurde vielfach in der Literatur als Trocken- und Salzstress-spezifisches Indiz gewertet. Neuere Untersuchungen (MUMTAZ et al., 1995; SOMAL u. YAPA, 1998) weisen jedoch darauf hin, daß die Prolin-Konzentration unter verschiedensten Stressbedingungen (Nährstoffmangel, Dunkelheit, Herbizid-Einwirkung, Rost-Infektion) erhöht sein kann, was auch durch NEUMANN (1962) bei Untersuchungen an Karottenwurzel-Gewebekulturen bei Molybdän-Überversorgung gezeigt werden konnte. Dabei war die Prolinakkumulation durch eine nachfolgende Kultur in einer Molybdän-freien Nährlösung wieder rückgängig zu machen.