Zeitabhängige Signale und Kalibration bei Halbleitergassensorsystemen
Zusammenfassung
Halbleitergassensoren weisen hohe Empfindlichkeiten auf eine Vielzahl von reduzierenden und oxidierenden Gasen auf. Die Entwicklung von Halbleitergassensor-Systemen insbesondere für Bereiche mit schnellen zeitlichen Variationen der Gaskonzentrationen setzt eine Beschreibung der nichtlinearen dynamischen Sensoreigenschaften voraus. Oftmals existieren für diese Komponenten jedoch keine geeigneten mathematische oder physikalische Modelle.
Zum Einsatz von Halbleitergassensoren wird neben der Auswertung einfacher direkter Meßgrößen (z.B. Leitwerte) auch die Auswertung abgeleiteter Größen und deren zeitlicher Verlauf untersucht. Zur Abschätzung der Zuverlässigkeit von Verfahren der Signalmusteranalyse vor allem bei der Gefahrzustandserkennung ist eine Quantifizierung der Erkennungs- und Fehlklassifizierungssicherheit notwendig.
Es wurden zeitabhängige Leitwertmessungen an kommerziellen SnO2-Dickschichtsensoren unterschiedlicher Präparation und Betriebstemperatur bei Angeboten von reduzierenden Gasen (Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Benzol, 2-Butanon und n-Hexan) vorgenommen.
Die Sensoren zeigen hohe Empfindlichkeiten auf diese Gase im Konzentrationsbereich der Maximalen-Arbeitsplatz-Konzentration (MAK) bzw. Technischen-Richt-Konzentration (TRK). Eine selektive Erkennung einzelner Komponenten in Gasgemischen ist über die Anordnung dieser Sensoren zu Sensorarrays bei geeigneter Signalverarbeitung möglich.
Werden dabei zeitliche Effekte vernachlässigt, können bei Konzentrationswechseln transiente Anzeigefehler infolge unterschiedlicher dynamischer Eigenschaften der Einzelsensoren auftreten. Zwei Ansätze sind untersucht worden, neuronale Netze anhand von Trainingsbeispielen das dynamische Verhalten von Sensorsystemen erlernen zu lassen und sie in eine Signalverarbeitung zu integrieren.
Das Training neuronaler Netze mit den Leitwertdaten mehrerer Sensoren eines Typs bei zusätzlicher Eingabe individueller, leicht meßbarer Parameter der Einzelsensoren (Empfindlichkeiten, Zeitkonstanten) ist untersucht worden. Diese Netze konnten dabei das Verhalten eines ganzen Sensortyps erlernen, die Anpassung auf einen Einzelsensor erfolgt dabei durch die Messung und Eingabe der leicht meßbaren Parameter. Dieses Verfahren kann dadurch die (Nach-)Kalibration von Sensoren und Systemen erheblich verkürzen und ein anschließendes Netztraining einsparen.
Anhand von Leitwertmessungen an SnO2-Sensoren in der Bekohlungsanlage des Braunkohlen-Kraftwerks Niederaußem der RWE AG wurden Mustererkennungsverfahren zur sicheren Detektion von Braunkohle-Schwelbränden mit nur einem Sensor bei gleichzeitiger Falschalarmsicherheit untersucht. Es lagen Daten bei Normalbetrieb der Anlage, bei 6 künstlichen Braunkohle-Schwelbränden sowie anderen Testbränden vor.
Darüber hinaus zeigen diese Sensoren große Streuungen in den Empfindlichkeiten und Zeitkonstanten innerhalb einer Typenreihe. Dies erforderte bislang umfangreiche Kalibrationsmessungen an jedem Einzelsensor eines Systems. Zeitliche Instabilitäten in den Parametern erforderten zusätzlich eine Wiederholung der Kalibration in bestimmten Zeitabständen.
In dieser Arbeit wurden Verfahren zur Reduktion transienter Anzeigefehler bei der Bestimmung zeitlich variierender Gaskonzentrationen mit Ein- und Mehrsensorsystemen sowie zur schnellen (Re-) Kalibration derartiger Sensorsysteme entwickelt.
Zur Optimierung von Auswerteverfahren nach einer komplexen Zielfunktion sind hierzu evolutionsstrategische Verfahren zur Anpassung eines Neuro-Klassifikators an einer Beispielanwendung untersucht worden.
Im ersten Verfahren erlernen die neuronalen Netze anhand des aktuellen und einer Reihe zurückliegender Leitwerte, die gegenwärtigen Gaskonzentrationen direkt auszugeben (inverser Filter). Dies führt zur einer sehr schnellen und präzisen Anzeige. So konnte bei Angeboten von organischen Lösungsmitteln die Gaskonzentration innerhalb von wenigen Sekunden korrekt angezeigt werden, obwohl die Gassensoren Zeitkonstanten von mehr als 10 min. aufwiesen. Die notwendigen Messungen für die Trainingsdaten sind dabei sehr umfangreich, gleiches gilt für eine Prüfung des Netzes auf mögliche Artefakte. Zusätzlich macht der Austausch eines Sensors in einem Mehrsensorsystem die Wiederholung der kompletten Kalibrationsmessungen mit dem System und anschließendes Netztraining erforderlich.
Im zweiten Verfahren lernten die neuronalen Netze durch Eingabe der aktuellen und einer Reihe zurückliegender Gaskonzentrationen den aktuellen Sensorleitwert zu berechnen und so die dynamischen Sensoreigenschaften zu approximieren. Diese Netze wurden in ein Parameterschätzverfahren zur Konzentrationsbestimmung integriert. Im Falle von Ein- oder Mehrsensorsystemen wird dann bei jeder neuen Leitwertmessung eine iterative Konzentrationsschätzung vorgenommen. Die aus der Schätzung berechneten Leitwerte werden mit den gemessenen verglichen und aus dem Fehler die Schätzung verbessert. Die Prozedur wird wiederholt, bis eine vorgegebene Fehlerschranke unterschritten wird. Vorteil dieses Verfahrens ist, daß beim Austausch eines Sensors auch nur ein korrespondierendes Netz in der Signalverarbeitung ausgetauscht werden muß. Eine Nachkalibration des Gesamtsystems ist nicht erforderlich.
Die neuronalen Netze verhalten sich in beiden Verfahren wie diskrete FIR (Finite-Impulse-Response)-Filter. Zur Detektion und Charakterisierung von Anzeigeartefakten wurden Kennlinien und Bode-Diagramme erstellt sowie Fehlerkorrelationsmethoden zur Validierung nichtlinearer dynamischer Modelle angewandt.
So ließ sich bei der kontinuierlichen Messung von Benzol eine 9 stündige Kalibrationsmessung mit varierenden, zufälligen Gaskonzentrationen auf eine ca. 10 min. Einzelmessung für die Sensorparameter (Empfindlichkeit auf 18 ppm Benzol, 2 Zeitkonstanten) beschränken.
Zur Messung von Einzelkonzentrationen in CO/H2-Gemischen mit einem Zweisensorsystem konnte ein Meßprogramm mit 25 Einzelgemischen (Meßdauer ca. 15 Stunden) mit nachfolgendem Netztraining auf zwei kurze Einzelmessungen für die Sensorparameter (Empfindlichkeit auf CO und H2 bei jeweils 20 ppm) reduziert werden.
Bei den Verfahren wurden Merkmale (relative Signaländerungen bzw. Signalspektren) aus zeitlich gefensterten Sensorsignalen eines Zeitraums von 32 min. berechnet und in einen Merkmalsvektor übersetzt. Die Branderkennung sollte über eine Klassifikation der Merkmalsvektoren mit neuronalen Netzen erreicht werden.
Die Quantifizierung einer Falschalarmrate wurde anhand von Betrachtungen zur statistischen Verteilung der Merkmalsausprägungen im Nicht-Brandfall vorgenommen. Die Adaptierung des Neuro-Klassifikators nach der komplexen Zielfunktion erfolgte durch den Einsatz evolutionsstrategischer Verfahren.
Kontakt: geb@bibsys.uni-giessen.de, 11.03.2003
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