Gastrointestinale Prozessierung und physiologische Bedeutung von Oligosacchariden der Humanmilch
Zusammenfassung
Ziel und Gegenstand der experimentellen Arbeiten:
Die komplexen Oligosaccharide der Humanmilch (HMO) sind sowohl hinsichtlich ihrer Konzentration in der Milch als auch aufgrund ihrer strukturellen Vielfalt einzigartig im Reich der Säuger. Weder über ihr Schicksal nach Aufnahme durch den Säugling noch über ihre biologische Funktion besteht gegenwärtig Klarheit. In der vorliegenden Arbeit wurden daher folgende Aspekte näher untersucht: 1) die hydrolytische Stabilität der HMO im Gastrointestinaltrakt, 2) Art und Umfang der Resorption der HMO, 3) zellbiologische sowie 4) antiadhäsive Wirkungen der HMO.
Untersuchungsmethoden und Befunde:
Ad 1) Verschiedene aus Humanmilch isolierte Fraktionen von HMO wurden bis zu 20 Stunden mit Präparationen von Pankreas- und Dünndarmgewebe inkubiert und enzymatisch sowie massenspektro-metrisch charakterisiert. Exemplarisch wurden im Tiermodell HMO an junge Mäuse intragastral verabreicht und deren Schicksal durch dünnschichtchromatographischen Nachweis in Faecesproben und Organen betrachtet. Sowohl die in vitro als auch die in vivo Untersuchungen ergaben, daß die HMO eine außergewöhnliche Stabilität gegenüber Hydrolasen des Gastro-intestinaltraktes aufweisen. HMO können damit weitgehend unverändert den Dünndarm passieren und unterliegen erst im Dickdarm einer bakteriellen Hydrolyse. Die Oligosaccharide können aus diesem Blickwinkel als die lösliche Ballaststofffraktion der Humanmilch angesehen werden.
Ad 2) Die intestinale Resorption von HMO wurde in Zellkulturmodellen des menschlichen Dünndarms und tierexperimentell an Mäusen untersucht. Die in vitro Versuche ergaben, daß HMO in einem Umfang von 2 bis 3 % der angebotenen Menge in intakter Form das Epithel von Caco-2 Zellen permeieren können und dies überwiegend parazellulär erfolgt. Die ermittelten Resorptionsraten stimmen mit denen in Mäuse überein, bei welchen die HMO in geringem Umfang sowohl in der Leber als auch im Urin zum Teil noch in intakter Form nachgewiesen werden konnten.
Ad 3) Die hohe Stabilität und geringe Resorptionsrate der HMO ermöglichen den intensiven Kontakt mit Epithelzellen im Dünndarm und Dickdarm. Bei den Studien zur möglichen Beeinflussung der Zellproliferation, -differenzierung und Apoptose zeigten die Oligosaccharide meist nur schwache Wirkungen auf die Biologie der Epithelzellen. Die nachgewiesenen proliferationshemmenden Effekte einiger Vertreter der HMO (negativ geladene bzw. höhermolekulare HMO) erscheinen unter physiologischen Bedingungen und im Vergleich zu anderen Nahrungsinhaltstoffen als relativ unbedeutend.
Ad 4) Nach Befunden aus der Literatur besitzen ausgewählte HMO antibakterielle und antivirale Eigenschaften, da sie als lösliche Liganden im Respirations-, Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt fungieren können. Trotz umfangreicher Validierung verschiedenster Modellsysteme gelang es uns nicht, die antiadhäsive Wirkungen von HMO in physiologischen Konzentrationsbereichen nachzuweisen. Reproduzierbare Befunde konnten jedoch mit dem glykosylierten Peptidbruchstück des bovinen K-Casein erhalten werden.
Zusammenfassend lässt sich für die hier durchgeführten Studien zum Schicksal der Oligosaccharide der Humanmilch im Gastrointestinaltrakt und zu ihrer biologischen Rolle feststellen: Aufgrund ihrer außerordentlichen Stabilität gegenüber intestinalen Hydrolasen und ihrer geringen Resorptionsrate im Dünndarm scheinen die Oligosaccharide in erster Linie als fermentierbare Ballaststoffe für den Säugling zu fungieren.
Kontakt: geb@bibsys.uni-giessen.de, 11.03.2003
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