Lineare anthropogene Gehölz- und Saumstrukturen im Bachgau (Gmde. Großostheim, Lkrs.Aschaffenburg)
Zusammenfassung
Lineare anthropogene Gehölz- und Saumstrukturen im Bachgau (Gmde. Großostheim, Lkrs. Aschaffenburg) sind Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit. Dem Wissenschaftler und Praktiker aus Ökologie, Naturschutz und Planung gewährt die Arbeit einen Einblick in oftmals wenig beachtete Überschneidungsbereiche eines primär naturwissenschaftlichen Themas mit seinen sozialen und historischen Nachbargebieten.
In einer historischen Analyse zu Beginn der Arbeit steht die Frage im Mittelpunkt, welche Heckentypen im Untersuchungsgebiet wann und unter welchen natürlichen und agrarsozialen Voraussetzungen entstanden sind. Vor allem gegen die verbreitete Vorstellung einer jahrhundertelangen Existenz des Hauptheckentyps, den auf Stufenrainen stockenden "Terrassenhecken", richten sich zahlreiche Einwände. Diese gemeinhin als Charakterelemente der Gäulandschaften betrachteten Gehölzstrukturen sind erheblich jünger einzuschätzen. Stichhaltige Indizien sprechen dafür, dass ihrer Ansiedlung auf Stufenrainen erst mit der im Geist der Aufklärung vollzogenen Abschaffung der flurzwanggebundenen Dreizelgenwirtschaft durch den Mainzer Landesherrn im Jahr 1770 allmählich der Weg geebnet wurde.
Ein bitemporaler Luftbildvergleich zwischen 1945 und heute ergibt, dass die Länge linearer anthropogener Gehölzelemente im Untersuchungsgebiet seit 1945 um absolut mindestens 4,8 km auf 34,3 km zunahm. Trotz der Beseitigung von Heckenstandorten während der Flurbereinigung ist dies v.a. auf diverse Neuanpflanzungen und ferner auf die durch Beendigung der Stufenrainmahd bedingte Sukzession zurückzuführen. Augenfälligste Folge dieser jüngsten Entwicklung war, dass lineare anthropogene Gehölz- und Saumstrukturen, die sich bis 1945 auf den Naturraum Reinheimer Hügelland beschränkt hatten, neuerdings auch im historisch heckenfreien Naturraum Untermainebene auftreten.
Als Grundlage für eine spätere naturschutzfachliche Bewertung wurde während der Vegetationsperioden 1997 und 1998 die Hecken- und Saumvegetation im Bachgau kartiert und einer pflanzensoziologischen Auswertung unterzogen. An unterschiedlichen Wuchsorten wie Ackerterrassenböschungen, Hohlwegen, Kerben und sonstigen Standorten (z.B. ehemalige Bahntrasse) konnten 14 Gehölz- und 9 Saumgesellschaften herausgearbeitet werden. Speziell diskutiert wird z.B. die Frage, warum im Untersuchungsgebiet mit den Kirschen-Altersstadien und den aus montanen Lagen bekannten Haselgesellschaften parallel zwei unterschiedliche Terminalgesellschaften auftreten.
Die während der Feldarbeit gewonnenen Daten wurden anschließend zur Beantwortung ökologischer Fragestellungen herangezogen. Die wichtigsten ökologischen Ergebnisse der Untersuchung lassen sich punktartig wie folgt zusammenfassen:
Eine naturschutzfachliche Bewertung linearer Gehölz- und Saumstrukturen unterstreicht ihren dargelegten hohen naturschutzfachlichen Wert. Neben dem Randeffekt, der hohe Zahlen von aus originär anderen Lebensräumen stammenden Tier- und Pflanzenarten mit sich bringt, gründet sich die hohe Wertschätzung auf die reiche Vegetationsdifferenzierung, die unterschiedlichen dynamischen und physiognomischen Stadien und das hecken- und saumgebundene Vorkommen von mindestens 218 Gefäßpflanzenarten. Aus der Düngung angrenzender Nutzflächen und dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln resultieren aus Sicht des Naturschutzes Gefährdungen der Hecken- und Saumbiotope. Negative Effekte auf Hecken- und Saumstrukturen gehen ebenso von der Forstwirtschaft aus (gemeindliche Ersatzaufforstungen). Möglichkeiten zur Konfliktvermeidung werden für diese Konfliktfelder aufgezeigt. Aufgrund der permanenten, v.a. durch tierökologische Literaturangaben untermauerten Gefährdungen von Seiten der Landwirtschaft, werden lineare Gehölz- und Saumstrukturen als schutzwürdig und schutzbedürftig eingestuft. Schutzvorschläge in einem jenseits des verordnungsrechtlichen Naturschutzes liegenden Rahmen werden unterbreitet und mit den Anliegen der Landwirte in einem Nutzungs- und Schutzkonzept integriert. Elementare Bestandteile dieses mediativen Konzepts sind die Wieder- bzw. Erstaufnahme der Heckennutzung und die Einrichtung 5 Meter breiter Pufferstreifen beiderseits der linearen Gehölz- und Saumstrukturen.
In einer Schlußbetrachtung wird die Überbetonung linearer Gehölzstrukturen innerhalb der Naturschutz- und Landschaftsplanung und speziell im Großostheimer Landschaftsplan als Problem erkannt. Um eine Aussage über die kulturlandschaftliche Eignung des im Großostheimer Landschaftsplan vorgeschlagenen gebietsüberspannenden Heckennetzes treffen zu können, werden aufbauend auf der Kulturlandschaftsgeschichte und der naturräumlichen Ausstattung Grundzüge eines bachgauspezifischen Landschaftsleitbildes formuliert: Die Quintessenz der Leitbildsuche mündet in die Forderung, die mit dem naturräumlichen Profil korrespondierenden anthropogenen Charakteristika der drei im Untersuchungsgebiet präsenten Naturräume Buntsandsteinodenwald, Reinheimer Lößhügelland und Untermainebene herauszuheben. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der Tatsache, dass heute ein Allzeithoch bezüglich der Heckenlänge im Bachgau erreicht ist, ist entgegen den Forderungen von Landschaftsplan, Landratsamt und Marktgemeinde kein Bedarf zu erkennen, neue Hecken im Untersuchungsgebiet einzubringen - gleichermaßen im historisch heckenfreien Naturraum Untermainebene, wie auch im Hügelland, das traditionell reich an linearen Gehölz- und Saumstrukturen ist.
In einem nicht repräsentativen Interview wurden 19 Landwirte zu ihrer Einstellung und ihrem Wissen über Hecken befragt. Dabei zeigte sich, dass die agrarökologischen und agrarentomologischen Zusammenhänge zwischen Hecken- und Saumstruktur und der angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzfläche den bäuerlichen Interviewpartnern weitgehend unbekannt sind. Das Einhalten des Abstands zur Nutzfläche, das gelegentliche Auf-den-Stock-setzen und der Verzicht auf das Einbringen von Bäumen sind die Hauptforderungen der Landwirte an den Umgang mit bestehenden Hecken bzw. an etwaige Neuanlagen. Im Gegensatz zu älteren Landwirten wird von jüngeren Betriebsleitern die Neuanpflanzung von Hecken - etwa im Rahmen gemeindlicher Ausgleichsmaßnahmen - im Allgemeinen nicht gutgeheißen.