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Carmen Hufnagel

Ontogenetische Veränderung des Plasmaleptinspiegels und seine Regulation bei 10 Tage alten Ratten

Zusammenfassung

Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen waren die entwicklungsbedingten Veränderungen des Plasmaleptinspiegels bei Ratten im Säuglingsalter sowie seine physiologische Regulation unter besonderer Berücksichtigung des als "fa"-Mutation bezeichneten Leptinrezeptor-Gendefekts. Als Grundlage für die Analyse der durch den Gendefekt bedingten Abweichungen von der Norm wurden methodische Voruntersuchungen an gesunden, sog. Wildtyp-Tieren im Zeitraum zwischen der 1. und 5. Lebenswoche durchgeführt, wobei der Zeitgang des Plasmaleptinspiegels, seine Beziehung zum Körperfettgehalt und speziell sein Verhalten am 10. Lebenstag ermittelt wurde. Auf dieser Grundlage wurde der Einfluß der Gendosis, das heißt, die Auswirkungen des homozygoten (fa/fa) oder heterozygoten (+/fa) Auftretens des Rezeptor-Gendefekts bzw. seine Abwesenheit beim Wildtyp (+/+) analysiert, und zwar zu zwei ontogenetisch definierten Zeitpunkten. Zum einen wurde der Plasmaleptinspiegel im perinatalen Zeitraum auf Abhängigkeiten von der Gendosis untersucht. Zum anderen erfolgte eine eingehende Analyse der Interaktion der Gendosis mit der physiologischen Kontrolle des Plasmaleptinspiegels und mehrerer auf ihn einwirkender Einflußgrößen am 10. Lebenstag, weil aufgrund früherer Befunde zu dieser Zeit mit dem Wirksamwerden der Gendosis als Einflußgröße zu rechnen ist. In diesen Untersuchungen wurden nach vorangehender mehrtägiger Manipulation der Energiezufuhr und der äußeren thermischen Belastung alle für die Energiebilanz relevanten Parameter gemessen, sowie die Größe der Leptin-mRNA-Konzentration im Braunen (BAT) und Weißen (WAT) Fettgewebe als den wesentlichen Bildungsorten des Leptins erfaßt. Bei der Analyse der Meßdaten diente die Metabolische Rate (MR) als Surrogatvariable für die experimentell durch Noradrenalin-Infusion manipulierte sympatho-adrenerge Aktivitität (SAA), die Nettoenergiezufuhr, das heißt, die Differenz zwischen den mit der Milch zugeführten und den im Stoffwechsel verbrauchten Energiemengen, als Surrogatvariable für die Gesamtheit der zellulären Energieströme und der Gesamtkörperfettgehalt als Surrogatvariable für den Lipidgehalt der Adipozyten. Die Auswertung der Rohdaten erfolgte mittels zweifaktorieller Varianzanalyse und einfacher sowie multipler Regressionsanalysen und führte zu den folgenden Ergebnissen.

1. Bereits kurz nach der Geburt - noch vor Beginn der Triglyzeridspeicherung - aber nicht pränatal, kann als früheste durch den Leptinrezeptordefekt verursachte Störung ein deutlicher Gendosis-Effekt auf den Plasmaleptinspiegel nachgewiesen werden.

2. Der Plasmaleptinspiegel nimmt bei Wildtyp-Tieren während der ersten beiden Lebenswochen deutlich und danach langsamer ab. Dabei weist der Plasmaleptinspiegel in den ersten beiden Lebenswochen stärkere Schwankungen auf als in der 3.-5. Lebenswoche, jedoch kommt es nicht zu sprunghaften Veränderungen, die den Aussagewert der im Alter von 10 Tagen durchgeführten speziellen Untersuchungen hätten beeinträchtigen können.

3. Eine künstliche Aufzucht unter moderater Kältebelastung eliminiert nicht die hohen Plasmaleptinspiegel der fa/fa Tiere gegenüber ihren +/fa und +/+ Wurfgeschwistern, die sich bei normaler Aufzucht unter Kältebelastung zeigen.

4. Bereits eine kurzfristige künstliche Aufzucht über 2 Tage unter thermoneutralen Bedingungen gleicht noch vor dem Auftreten von Änderungen des Körperfettgehaltes den Energieverbrauch von +/fa und fa/fa Tieren auf minimalem Niveau einander an und eliminiert Faktoren, die für die überhöhten Plasmaleptinspiegel von fa/fa Tieren unter Kältebelastung verantwortlich sind.

5. Eine Dauerbehandlung mit Noradrenalin über 6 Tage führt schon bei niedriger Dosis zu einer Angleichung der Plasmaleptinspiegel von fa/fa und +/fa Tieren, ohne daß damit eine Reduzierung des Gesamtkörperfettgehaltes verbunden sein muß.

6. Es zeigte sich sowohl bei normaler wie künstlicher Aufzucht für Plasmaleptinspiegel <10 ng/ml ein starker Einfluß der Leptin-mRNA-Konzentration im BAT auf den Plasmaleptinspiegel, die 60% seiner Variabilität erklärt, während der Einfluß der Leptin-mRNA-Konzentration im WAT weniger als 10% betrug. Bei dieser Analyse zeigte sich zudem auch ein schwacher Genotyp-Einfluß.

7. Bei Plasmaleptinspiegeln >10 ng/ml, wie sie vor allem bei fa/fa Tieren unter Kältebelastung beobachtet wurden, sind Effekte des Leptinrezeptordefekts wirksam, die weder mit der Leptin-mRNA-Konzentration im BAT und WAT, noch mit der SAA in Zusammenhang gebracht werden können.

8. Werden für Plasmaleptinspiegel <10 ng/ml die Einflußvariablen ohne Berücksichtigung der Leptin-mRNA-Konzentration im BAT und WAT als intervenierenden Variablen analysiert, ergibt sich ein positiver Einfluß des Körperfettgehaltes, der mehr als 50% der Variabilität erklärt, und ein negativer Einfluß der SAA, der weitere 10% der Variabilität erklären kann, jedoch kein Einfluß der Gendosis.

9. Die Leptin-mRNA-Konzentration im BAT ist eng mit der SAA korreliert, sie erklärt 90% ihrer Variabilität. Dagegen konnten die untersuchten Variablen insgesamt nur knapp 50% der Variabilität der Leptin-mRNA-Konzentration im WAT erklären, wobei die Nettoenergiezufuhr die dominierende Einflußgröße darstellte und der Körperfettgehalt, sowie die SAA nur eine geringe Rolle spielten. Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Surrogatvariable Nettoenergiezufuhr wesentlich weniger eng mit den Energieströmen im WAT assoziiert ist, als die Surrogatvariable MR mit der sympathisch kontrollierten Aktivierung des BAT.

Diese Ergebnisse lassen sich zusammenfassend wie folgt interpretieren.

(a) Ein von der Fettspeicherung unabhängiger Einfluß des "fa"-Gendefekts auf die Leptinsekretion ist bereits unmittelbar nach der Geburt nachweisbar.

(b) Im Alter von 10 Tagen ist eine autokrine, durch den Leptinrezeptor an der Fettzelle selbst vermittelte Regelung der Leptin-Gen-Expression unter dem Einfluß des Plasmaleptinspiegels selbst noch nicht wirksam. Infolgedesssen wird die bei normal aufgezogenen Tieren im Alter von 10 Tagen nachweisbare negative Rückkopplung des Leptins auf seine Expression im BAT wahrscheinlich durch zentralnervöse Leptinrezeptoren vermittelt, und zwar über deren Einfluß auf die sympathische Aktivität. Rückkopplungseffekte auf die Expression des Leptin-Gens im WAT resultieren wahrscheinlich, aber nicht ausschließlich aus Veränderungen der Energieströme.

(c) Außer den in der vorliegenden Untersuchung identifizierten Rückkopplungswirkungen des Leptins auf seine Expression weisen einige Befunde auf weitere unbekannte Regelungsfaktoren hin, die sowohl bei normaler Aufzucht als auch bei künstlicher Aufzucht unter Kältebelastung wirksam sind, jedoch durch die Herstellung thermoneutraler Bedingungen eliminiert werden und deren Störung zur Hyperleptinämie der +/fa und fa/fa Tiere beiträgt.

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