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Albrecht Köhl, Roland Schürhoff

AIDS im gesellschaftlichen Bewußtsein: Aspekte der Stigmatisierung von HIV-Infizierten und Risikogruppe

Zusammenfassung

Die Ergebnisse dieser Studie entstammen dem Forschungsprojekt "Sozialpsychologische Aspekte von AIDS unter besonderer Berücksichtigung von Diskriminierungs- und Stigmatisierungsprozessen", das 1989 und 1990 am Zentrum für Psychosomatische Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführt wurde.

Im quantitativ-repräsentativen Teil des Projekts wurden 2025 Erwachsene zu ihren Einstellungen und Verhaltensweisen in Verbindung mit HIV/AIDS und Sexualität befragt.

Erstmals wurden neben soziodemografischen Angaben auch sozialpsychologische Instrumente erhoben. Neben einer Kurzskala zur Messung von "Autoritarismus" wurde u.a. der Gießen-Test im Fragebogen verwendet. Der Gießen-Test als Persönlichkeitsinventar zeichnet sich besonders durch die Berücksichtigung sozialer Aspekte aus.

Einstellung gegenüber Minderheiten und Risikogruppen

Die Ergebnisse zeigen, dass näher und bedrohlicher empfundene Minderheiten stärker abgewehrt und verunglimpft werden.

Die Hauptbetroffengruppen in bezug auf HIV/AIDS (Homosexuelle, Prostituierte, Drogenabhängige) werden im Kontext anderer Bevölkerungsminderheiten klar identifiziert. Faktorenanalysen zeigen eine deutliche Drei-Gruppen-Einteilung von Minderheiten: 1. die "sehr unsympathischen" (HIV/AIDS-)Risikogruppen, 2. die "unsympathischen" Angehörigen anderer Kulturen (türkische Gastarbeiter, Zigeuner, Asylbewerber etc.) und 3. Personengruppen, die sich durch politischen Protest kennzeichnen (Atomkraftgegner, Feministinnen).

Maßnahmen des Staates gegenüber Risikogruppen und HIV-Infizierten

Bei der Zustimmung zu staatlichen Maßnahmen in Bezug auf HIV/AIDS läßt sich eine Polarisierung beobachten. In der Bevölkerung werden auf der einen Seite stärker bestrafende Maßnahmen und auf der anderen Seite präventiv wirkende Kampagnen, die der Aufklärung dienen, befürwortet.

Die Akzeptanz harter strafender Präventivmaßnahmen gegen Angehörige der Hauptbetroffenengruppen ist am weitesten im Personenkreis mit autoritärer Charakterstruktur und bei Personen mit ohnehin negativen Einstellungen gegenüber diesen Minderheiten verbreitet.

Demgegenüber ist die verstärkte Zustimmung zu aufklärenden statt strafenden Vorgehensweisen mit positiverem Selbstwertgefühl und größerer Handlungskompetenz sowie der Fähigkeit zur Empathie verbunden.

Zusammenhänge zwischen Kontaktbereitschaft, Toleranz und Sexualverhalten

Anhand der Korrelationen mit dem individuellen Sexualverhalten zeigt sich eine "Trennlinie" zwischen Toleranz und Mitgefühl einerseits und Intoleranz und Ausgrenzung andererseits zwischen den sexuell aktiveren Bevölkerungsgruppen und den sexuell Inaktiven.

Zentrale Einflußgrößen im Kontext von Diskriminierung und Stigmatisierung

Der Werthaltung des Autoritären Charakters kommt in der vorliegenden Studie eine zentrale Bedeutung zu, da sie sich in allen affektiv-emotionalen Einstellungs-Facetten als dominanter Faktor erweist.

Weitere wichtige Einflußgrößen sind Infektionsrisikoeinschätzungen, die durch AIDS ausgelöst werden und - emotional besetzt - Auswirkungen auf den alltäglichen Umgang mit anderen Menschen haben, sowie die Haltung gegenüber den Risikogruppen. Sowohl die Befürwortung bestrafender und ausgrenzender staatlicher Maßnahmen als auch persönliche Vermeidungsstrategien im Umgang mit HIV/AIDS sind in starkem Maße ursächlich beeinflußt von diesen beiden Einstellungsaspekten.

Die Autoritäre Persönlichkeit im Spiegel des Gießen-Tests

Die zentrale Einflußgröße "Autoritäre Persönlichkeit" läßt sich ihrerseits mit Hilfe des Gießen-Tests erklären bzw. eingehend beschreiben. Kennzeichen der autoritären Struktur sind in psychologischer Hinsicht nicht so sehr mangelnde Kompetenz in sozialen Situationen oder im alltäglichen Umgang mit anderen, als vielmehr das gemeinsame Auftauchen von einerseits unterwürfigen und andererseits macht- sowie geltungshungrigen inneren Strukturen.

Die Korrelationsanalyse einzelner Gießen-Test-Items und dem Autoritarismuskonstrukt unterstreicht das psychosoziale Profil des Autoritären Charakters: wenig impulsiv, zeigt wenig Emotionen, ist aggressionsgehemmt, phantasielos und wenig liebevoll.

Daneben wird die Schwäche der Ich-Überich-Organisation deutlich. Schauspielerische Fähigkeiten sind nicht vorhanden, die Fähigkeit ausgelassen zu sein, fehlt häufiger, in der Liebe sind autoritäre Personen wenig erlebnisfähig.

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