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Corinna Koebnick

Gießener Vollwert-Ernährungs-Studie Teil II: Einfluß der Kostform auf den Vitamin-B12- und Folatstatus in der Schwangerschaft

Zusammenfassung

Fragestellung: Hat die Kostform einen Einfluß auf den Vitamin-B12- und Folatstatus in der Schwangerschaft? Kann die Vollwert-Ernährung auch für schwangere Frauen eine ausreichende Versorgung gewährleisten?

Untersuchungsmethoden: Die vorliegenden Studie ist als prospektive longitudinale Kohortenstudie angelegt. In die Studie aufgenommen wurden Frauen, die mindestens zwei Jahre Vollwert-Ernährung praktizieren (VWK; n = 76), und Frauen, die sich etwa gemäß dem Bundesdurchschnitt ernähren (CG; n = 43). Die VWK wurden zusätzlich in Ovo-Lakto-Vegetarierinnen (OLV; n = 30) und Nicht-Vegetarierinnen (NVEG; n = 46) unterteilt. Die Erfassung von Nährstoffaufnahme (BLS Version II.2) und Blutuntersuchungen wurden in jedem Schwangerschaftstrimenon (9.-12., 20.-22. und 36.-38. Schwangerschaftswoche) durchgeführt. Bestimmt wurden die Vitamin B12-Konzentrationen im Serum und Erythro-zyten sowie die gesättigten Vitamin-B12-Fraktionen holo-Transcobalamin II (holo-TC II) und holo-Haptocorrin (holo-Hap). Zusätzlich wurden die ungesättigte Vitamin B12 Bindungs-kapazität UBBC sowie die einzelnen Transcobalamin-Fraktionen (apo-TC II und apo-TC I/III) gemessen und daraus die prozentualen Sättigungskapazitäten der einzelnen Proteinfraktionen errechnet. Zur Erfassung des Folatstatus wurden die Folatkonzen-trationen in Plasma und Erythrozyten bestimmt.

Ergebnisse: Der Lebensmittelverzehr der VWK unterschied sich gegenüber der CG besonders durch einen höheren Verzehr von Vollkornprodukten, Gemüse und Obst. Ein bedeutender Teil des Obstes und Gemüses wurde in Form von unerhitzter Frischkost verzehrt. Fleisch und Fisch spielt in der Ernährung der NVEG eine sehr viel geringere Rolle als bei der CG, die OLV vermieden diese Lebensmittel definitionsgemäß ganz.
Die OLV nahmen etwa 2.5 µg/d, die NVEG 3.8 µg/d und die CG 5.3 µg/d Cobalamin mit der Nahrung auf. Die Folatzufuhr betrug bei den OLV durchschnittlich 350 µg DFE/d, bei den NVEG 347 µg DFE/d und bei der CG 319 µg DFE/d.
Der Vitamin-B12-Status wurde signifikant durch die Ernährungsform beeinflußt. OLV, NVEG und CG zeigten signifikante Unterschiede in den meisten Parametern des Vitamin-B12-Status. Die niedrigsten Vitamin-B12-Konzentrationen im Serum wiesen die OLV auf, gefolgt von den NVEG. Einen Vitamin-B12-Mangel hatten in der vorliegenden Studie 44% der OLV, 16 % der NVEG und 8 % der CG.
Die unterschiedlichen Ernährungsweisen der Untersuchungsgruppen und die damit verbundenen unterschiedliche Folatzufuhr wirkte sich deutlich auf den Folatstatus aus. Die Kostgruppen unterschieden sich signifikant hinsichtlich der Folatkonzentrationen in Plasma und Erythrozyten. Die höchsten mittleren Folatkonzentrationen in Plasma und Erythrozyten wurden bei den OLV gemessen, gefolgt von den NVEG. Im gesamten Schwanger-schaftsverlauf wurde ein Folatmangel bei 7.5 % der OLV, bei 20.3 % der NVEG und bei 29.0 % der CG beobachtet.
Die Kostform hatte auch einen signifikanten Einfluß auf die Homocysteinkonzentrationen. Besonders im ersten Trimenon lagen die OLV am höchsten, gefolgt von den NVEG und der CG. Gegen Ende der Schwangerschaft unterschieden sich die Konzentrationen dagegen kaum. Homocysteinkonzentrationen außerhalb des Normalbereiches kamen am häufigsten bei den OLV vor. Das Risiko für erhöhte Homocysteinkonzentrationen war für OLV 4.6 mal und für NVEG 2.2 mal so hoch wie für die CG. Ein Vitamin-B12-Mangel wirkte sich ebenso wie ein Folatmangel negativ auf die Homocysteinkonzentrationen aus. Die höchsten Homocysteinkonzentrationen wurden bei den Teilnehmerinnen gemessen, die sowohl einen Vitamin-B12- als auch einen Folatmangel hatten.

Empfehlungen: Die vorliegende Studie zeigt, daß eine Vollwert-Ernährung, die sich durch eine hohen Zufuhr von folatreichem Gemüse und einen hohen Frischkostanteil auszeichnet, den Folatstatus verbessern und das Risiko eines Folatmangels reduzieren kann. Die optimale Folatzufuhr liegt nach den vorliegenden Ergebnissen bei etwa 300 µg FFE/d und deckt sich mit den internationalen Empfehlungen für die Folatzufuhr während der Schwangerschaft. Die vegetarische Variante der Vollwert-Ernährung kann aber auch ein Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel während der Schwangerschaft darstellen und zu einem funktionellen Folsäuremangel sowie erhöhten Homocysteinkonzentrationen führen. Vegetarierinnen sollten besonders auf eine ausreichende Vitamin-B12-Versorgung achten und regelmäßig ausreichend Milch und Milchprodukte und eventuell Fisch verzehren. Die optimale Cobalaminzufuhr liegt bei etwa 4 µg/d und ist besonders für Vegetarierinnen während der Schwangerschaft zum Ausgleich für entleerte Vitamin-B12-Speicher wichtig. In den ersten Wochen der Schwangerschaft und bei einem geringem Verzehr von Milch und Milchprodukten sollte bei Vegetarierinnen eine generelle Supplementation mit Vitamin B12 in Erwägung gezogen werden.

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Kontakt: geb@bibsys.uni-giessen.de, 11.03.2003