Der Kohlenstoffhaushalt von Weizen in der Interaktion
erhöhter CO2-/O3-Konzentration und Stickstoffversorgung:
Aufklärung durch funktionale Wachstumsanalyse, ein Photosynthese-Modell
und Kohlenhydrat-Analytik in Kohlenstoffquellen und -senken
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Zusatz zum Titel:
Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Naturwissenschaften
Fakultät der Justus-Liebig-Universität Giessen
Institut:
Institut für Pflanzenökologie der Justus-Liebig-Universität
Giessen
Erscheinungsjahr:
1998
Abstract:
Durch menschliche Aktivitäten sind die Konzentrationen vieler
atmosphärischer Spurengase, die treibhauswirksam sind, zum Teil aber
auch direkte Auswirkungen auf die Vegetation haben, deutlich angestiegen.
Hier sind vor allem Kohlendioxid und troposphärisches Ozon zu nennen.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, die Reaktion des Kohlenstoffhaushaltes
von Weizen als weltweit wichtigster Nahrungsmittel-Nutzpflanze auf diese
beiden Spurengase bei unterschiedlicher Stickstoffversorgung zu untersuchen.
Dazu wurde Sommerweizen (Triticum aestivum) in Open-Top-Kammern unter
drei CO2-Konzentrationen (Außenluft-CO2 = A-NF,
Außenluft + 160 µmol/mol CO2 = A160-NF und Außenluft
+ 320 µmol/mol CO2 = A320-NF) und zwei Ozon-Konzentrationen
(Außenluft-O3 in Kombination mit allen drei CO2-Stufen
und 1,5fache Außenkonzentration in Kombination mit der niedrigsten
= A-NF1,5 und der höchsten CO2-Stufe = A320-NF1,5) in Topfkultur
angezogen. Die N-Versorgung war entweder hoch (270 kg N/ha = +Dgg) oder
niedrig (150 kg N/ha = -Dgg). Entsprechende Expositionen fanden 1994 mit
den Sorten Nandu und Minaret, 1995 nur mit der Sorte Minaret statt. Als
Wirkungserhebungen wurden Wachstumsanalysen, Gaswechselanalysen und Kohlenhydratanalysen
durchgeführt.
Für Wachstumsanalysen wurde die Sorte Nandu 1994 bei der
Erntereife geerntet. An der Sorte Minaret erfolgten 1995 wöchentliche
Ernten, deren Daten für eine funktionale Wachstumsanalyse mit empirischer
Modellierung für die Entwicklung der Oberirdischen Trockenmasse (TM),
der relativen (RGR) und der absoluten (AGR) Wachstumsrate sowie der Sproß:Wurzel-Allometrie
verwendet wurden. Die Reaktion der Kohlenstoffsenken (Halm-TM und Ähren-TM)
und der Kohlenstoffquellen (Blatt-TM, Blattfläche, Blattflächenlebensdauer
= LAD, spezifische Blattfläche = SLA sowie Produktivitätsrate
der Blattflächeneinheit = NAR) wurde ebenfalls anhand der funktionalen
Wachstumsanalyse verfolgt. Die Methodik für die Durchführung
der funktionalen Wachstumsanalyse wird ausführlich dargestellt. Gaswechselanalysen
wurden 1994 an Fahnenblättern beider Sorten und an Ähren der
Sorte Minaret als Messungen der aktuellen Photosyntheserate unter den Aufwuchs-CO2-Konzentrationen
durchgeführt. 1995 wurden A/ci-Kurven mit einem geschlossenen Photosynthese-Meßsystem
aufgenommen, um eine mögliche Akklimation des Photosyntheseapparates
an erhöhtes CO2 zu diagnostizieren. Der Einsatz geschlossener
Photosynthese-Meßsysteme für die Aufnahme von A/ci-Kurven wird
detailliert beschrieben. Anhand der A/ci-Kurven wurde ein weithin anerkanntes
mechanistisches Photosynthese-Modell parametrisiert und für die Interpretation
der aktuellen Photosyntheseraten genutzt. Es wurde versucht, das Photosynthese-Modell
mit einem empirischen Stomata-Modell zu kombinieren. Kohlenhydratanalysen
(Wasserlösliche Kohlenhydrate, Fructane, Saccharose, Reduzierende
Zucker, Stärke) wurden 1994 an Haupthalmen der Sorte Minaret vorgenommen;
1995 erfolgten die Analysen an Gewebeproben der jüngsten Blätter
bzw. Fahnenblätter. Die Untersuchung der Reaktion auf verschiedenen
Integrationsstufen (Gewebe, Organ, Individuum) ermöglichte es, den
Zusammenhang zwischen zeitlicher Abhängigkeit der CO2-Wachstumsförderung,
Photosynthese-Akklimation und Ausbildung von Quellen:Senken-Ungleichgewichten
aufzuklären.
Beim Gesamtpflanzenwachstum zeigten sich sortenspezifische Unterschiede:
Die Sorte Nandu reagierte mit 40 bzw. 50% mehr oberirdischer Biomasse und
Ertrag auf A320-NF gegenüber A-NF bei -Dgg bzw. +Dgg, bei Minaret
zeigten sich mit 30 bzw. 50% Förderung in den Düngungsvarianten
stärkere Abhängigkeiten von der N-Versorgung. Anhand der in den
Expositionen erreichten AOT-Werte für Ozon hätten deutliche Biomasse-
und Ertragsminderungen erwartet werden können. Die getesteten Sorten
erwiesen sich jedoch als relativ resistent gegen eine Erhöhung der
Ozonkonzentration. Eine Interaktion zwischen CO2 und O3
im Sinne eines Schutzeffektes erhöhter CO2-Konzentrationen
trat nicht auf.
Die funktionale Wachstumsanalyse führte zu einigen nicht
erwarteten Befunden hinsichtlich der zeitlichen Entwicklung von Behandlungseffekten.
Die TM lag anfänglich in A-NF am höchsten; eine signifikante
Steigerung durch erhöhtes CO2 fand erst mit Beginn der
Kornfüllung statt. O3 bewirkte eine zwischenzeitliche TM-Reduktion,
die in der Regel erst sehr spät im Verlauf der Entwicklung durch Ausbildung
von Nottrieben kompensiert wurde. Die RGR wurde durch CO2-Anreicherung
nur temporär gefördert. Wenn allerdings die TM als Bezugsgröße
für den CO2-Effekt gewählt wurde, also gleichgroße Pflanzen
verglichen wurden, ergab sich in A320-NF eine stetige und konstante Förderung
der RGR gegenüber A-NF. Offensichtlich war die zeitliche Abhängigkeit
der CO2-Wachstumsförderung Folge einer natürlichen
Abnahme der RGR mit zunehmender Pflanzengröße. Dieser Befund
spricht zugleich gegen eine photosynthetische Akklimation an erhöhtes
CO2 bis zur Phase der Kornfüllung. Entgegen Literaturangaben
blieb die AGR in A320-NF über die gesamte Vegetationsperiode erhöht.
Die Sproß:Wurzel-Allometrie der Sorte Minaret war in A-NF
düngungsabhängig: Die -Dgg wies eine relative Förderung
des Wurzelwachstums auf. Erhöhtes CO2 hatte nur geringen
Einfluß auf die Sproß:Wurzel-Allometrie mit einer Tendenz zur
Sproßförderung in der -Dgg. Diese Ergebnisse sprechen gegen
die Induktion eines Stickstoffmangels durch CO2 vor der Blüte.
Die Kohlenstoffsenken der reifenden Pflanzen (Ähren und
Körner) reagierten auf CO2-Erhöhung mit einer vermehrten
Senkenzahl: Sortenabhängig wurde mehr die Ährenzahl oder die
Kornzahl pro Ähre in A320-NF gefördert. Bei der Sorte Minaret
war der CO2-Ertragszuwachs hauptsächlich auf eine größere
Ährenzahl zurückzuführen. Die Sorte bestockte sich stärker,
ein größerer Anteil der Halme bildete Ähren aus, der Ertragszuwachs
wurde an Nebenhalmen erzielt. Die Senkenstärke der Einzelkörner
- ermittelt als Tausendkorngewicht - reagierte demgegenüber bei beiden
Sorten kaum auf CO2.
Intermediär fungierten auch die Halme als Kohlenstoffsenken. In
Haupthalmen fand eine Akkumulation von Fructanen statt. Die maximale Fructankonzentration
wurde durch CO2 erhöht. Die Gesamtmenge aller im Haupthalm
eingelagerten Kohlenhydrat-Komponenten (Fructane, Saccharose, Red. Zucker)
erhöhte sich durch CO2-Begasung. Die Akkumulation von Fructanen
endete unter erhöhtem CO2 8 Tage später; die Auslagerung
von Kohlenhydratreserven erfolgte unter CO2-Einfluß verzögert.
Der Beitrag der Halmreserven zum Haupthalmertrag - geschätzt aus den
remobilisierten Kohlenhydratmengen - erfuhr durch CO2 eine Zunahme.
Im zeitlichen Verlauf zeigten die verschiedenen Kohlenstoffsenken eine
Dynamik der Senkenstärke. Für das Senkenwachstum spielte das
Verhältnis von Kohlenstoff-Quellen und -Senken sowie die Konkurrenz
zwischen den verschiedenen Senken eine maßgebliche Rolle. Für
Halme und Ähren bestand eine Überlappung der Organentwicklung;
bei Halmen gingen Wachstum, Kohlenhydrat-Einlagerung und -Remobilisierung
fließend ineinander über. Der Beitrag der Halmreserven zu der
Kornfüllung - ermittelt durch Aufsummieren der negativen Halm-AGR
- veränderte sich CO2-bedingt nicht. Bei hoher CO2-
und N-Versorgung war das maximale absolute Ährenwachstum (als Maß
für die maximale Senkenstärke der Körner) mit +73% gegenüber
der Kontrolle stärker erhöht als nach dem Zuwachs der Kornzahl
zu erwarten war. Dies widerspricht Literaturangaben, nach denen die Füllungsrate
der Körner senken-limitiert ist.
Die Kohlenstoffquellen zeigten eine düngungsabhängige
Reaktion auf erhöhtes CO2. In A320-NF, -Dgg profitierten
die Pflanzen ausschließlich von einer 26,9%igen Erhöhung der
Produktivitätsrate einer Blattflächeneinheit NAR durch CO2.
Weil die Anlage von mehr Blattfläche N-bedürftig ist, kam es
nur in der hohen Stickstoffversorgung auch zu einer maßgeblichen
Steigerung der Blattflächenlebensdauer LAD durch CO2. In
A320-NF, +Dgg profitierten die Pflanzen sowohl von der erhöhten LAD
(+14,4%) als auch von der erhöhten NAR (+30,3%). Die mittlere 27-30%ige
NAR-Steigerung korrespondiert in der Größenordnung mit den in
der Literatur beschriebenen 20-75% Photosyntheseförderung bei CO2-Verdopplung.
Obwohl während der Hauptwachstumsphase die letzte Blattgeneration
(Fahnenblätter) unter erhöhtem CO2 einen niedrigeren
Blatt-N-Gehalt hatte, fehlten N-Mangelsymptome in der -Dgg zum Teil und
in der +Dgg ganz. Somit sprechen die Befunde eher für einen erniedrigten
Stickstoffbedarf der Blätter unter erhöhtem CO2.
Die in A320-NF, +Dgg aufgenommenen A/ci-Kurven waren nach Wachstum
unter erhöhtem CO2 praktisch kaum verändert. Bis zum
Eintritt der Kornfüllung war demnach keine Photosynthese-Akklimation
eingetreten. Kernparameter des Photosynthese-Modells, die Carboxylierungseffizienz
(CE) und die maximale Elektronentransportrate (Jmax), hingen für alle
untersuchten Behandlungen in gleicher Weise linear vom Blatt-N-Gehalt ab.
Da Fahnenblätter in A320-NF, +Dgg zeitweise einen reduzierten N-Gehalt
besaßen, ist von einem N-bedingten Rückgang der CO2-Förderung
der Photosynthese, von einer Akklimation während der Kornfüllung,
auszugehen. Ausgehend von Modellkalkulationen betrug die Photosyntheseförderung
dann nicht mehr 40-75%, sondern nur noch 20-50%.
Verschiedene Resultate wiesen auf ein bestehendes Quellen:Senken-Ungleichgewicht
in A320-NF, +Dgg während der Kornfüllung hin. Die Konzentration
der mengenmäßig stärksten Kohlenhydratfraktion, der wasserlöslichen
Kohlenhydrate, erhöhte sich in Fahnenblättern durch CO2
und erreichte mit 20% TM doppelt so hohe Konzentrationen wie in A-NF. In
der Gesamtpflanze standen sich eine gegenüber A-NF um 90% erhöhte
Fahnenblattfläche mit einer 20-50% höheren Photosyntheserate
und eine maximal um 73% erhöhte Senkenstärke der Ähren gegenüber.
Das Übergewicht der Kohlenstoffquellen hätte zu einer direkten
oder zu indirekter Photosynthese-Inhibition und Seneszenzbeschleunigung
führen dürfen. Es liegen jedoch keine Hinweise auf ein verfrühtes
Absinken der Gesamtblattfläche vor. Eine zeitliche Verzögerung
der Blattflächen-Entwicklung und das Fehlen eines mit Kohlenhydrat-Akkumulation
verbundenen SLA-Rückgangs in A320-NF deuteten vielmehr auf eine direkte
Kohlenhydrat-bedingte Photosynthese-Inhibition hin, die über die N-bedingte
hinausging. Entgegen Literaturangaben fanden sich keine Befunde für
eine positive Akklimation, die im Wachstumskontext die einzige Anpassung
an erhöhtes CO2 darstellt. Eine Literaturübersicht
zur Akklimationsproblematik ist Bestandteil der Diskussion.
In Übereinstimmung mit einer direkten Kohlenhydrat-bedingten Photosynthese-Inhibition
waren die in A320-NF gemessenen Fahnenblatt-Photosyntheseraten deutlich
geringer als die mit den N- und Temperaturabhängigkeiten von CE und
Jmax kalkulierten. Den Blattgaswechselmessungen zufolge war die CO2-Förderung
der Photosynthese begleitet von einem deutlichen Stomataschluß. Bedingt
durch eine stomatäre Kompensation fanden sich in der -Dgg oftmals
keine geringeren Photosyntheseraten als in der +Dgg. Die Atmungsprozesse
der Körner prägten im wesentlichen die Ährenphotosynthese
der Sorte Minaret. Lediglich in der -Dgg kam es zu einer Förderung
der Ährenphotosynthese durch CO2. Resultate der funktionalen
Wachstumsanalyse sprachen für eine N-Umverteilung in Richtung Spelzen
in A320-NF, -Dgg.
In mehrfacher Hinsicht reagierten Kohlenstoffquellen auf Ozon
entgegen der Erwartung. Nach den A/ci-Kurven wirkte sich Ozonbegasung in
jungen Blättern nicht in einer RubisCO-Schädigung aus. Photosyntheseraten
waren durch Ozon nur geringfügig reduziert, in A320-NF sogar oftmals
erhöht. Blattkohlenhydratgehalte zeigten sich unter Ozoneinfluß
ebenfalls erhöht. Für die Sorte Minaret bestand die Reaktion
auf Ozon in einer deutlichen Reduktion der LAD. Eine Anhebung der NAR durch
Ozon war für einen Großteil der Vegetationsperiode prägend.
Nach den SLA-Befunden legten Weizenpflanzen unter Ozon dickere/dichtere,
vermutlich stickstoffreichere Blätter an. Insgesamt stellt sich das
Verhalten als Schutzreaktion vor Ozon dar. Unter Ozoneinfluß kam
es ferner zu massiven Allokationsverschiebungen. Dies steht im Widerspruch
zu Literaturangaben, nach denen eine Allokationsreaktion auf Ozon eine
Photosyntheseschädigung voraussetzt.
Das für die Aufklärung von Zusammenhängen notwendige
Scaling der Integrationsstufen des pflanzlichen Kohlenstoffhaushaltes hat
in der vorliegenden Arbeit zu einem weitgehend in sich geschlossenen Bild
der Weizenreaktion auf die Spurengase geführt, das mehrfach von gängigen
Vorstellungen abwich.
Sprache:
deutsch
Dateiformat:
PostScript
Eingabedatum:
01.04.1999
Volltext des Dokuments: (ca. 11,7 MB)
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