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Linswicke, Ervilie (Vicia ervilia [L.] Willd. [= Ervum ervilia L., = E. plicatum Moench, = Ervilia sativa Link])

Biologie - Geschichte und Verbreitung - Nutzung und Verwertung - Weitere Informationen - Literatur - Bildlegenden

Biologie

Auch Bezeichnungen wie Erve, Steinlinse, Wicklinse und Ervenwicke sind in Deutschland gebräuchlich.

Die Ervilie ist eine einjährige Pflanze mit einer allgemein schwachen Wurzelausbildung, jedoch einer kräftigen Hauptwurzel. Die Chromosomenzahl beträgt n = 7, wie bei anderen Wicken. Der Wuchs ist aufsteigend bis aufrecht mit starken, an der Basis ansetzenden Seitenzweigen. Der kantige, wenig behaarte Stengel wird 30 bis 60 cm hoch. Die Laubblätter sind 10 bis 15 cm lang mit 8 bis 12 bis 15 Paar versetzt stehenden Blättchen, sie sind abgestutzt, enden in einer kurzen Spitze und sind 1,5 bis 1,7 cm lang und 4,5 bis 5,0 mm breit. Die kleinen, halbspießförmigen, spitzen Nebenblätter sind teilweise gezähnt. Die 2- bis 4-blütigen Blütenstände sind kürzer als die Laubblätter. Der Kelch ist glockenförmig, etwas länger als die Röhre. Die Blüten sind 7 bis 8 mm lang, sie haben eine hellrosa gefärbte Krone mit gelblich-weißer Fahne und lila Zeichnungen. Die Flügel sind auf der Rückseite hellila gefärbt. Die Blüten werden häufig von Bienen besucht. Es kommt zu Fremd- meist jedoch zu Selbstbefruchtung. Die hängenden, perlschnurförmigen Hülsen sind 1,5 bis 2,0 cm lang und 4 bis 5 mm breit, mit einem kurzen Schnabel sie bilden 2 bis 4 Samen aus. Die dreikantigen Samen mit ovalem Nabel haben einen Durchmesser von 3 bis 5 mm und sind braunrot bis graubraun gefärbt, teilweise mit dunklen Flecken, sie dunkeln bei längerer Lagerung stark nach. Das Tausendkorngewicht beträgt 20 bis 60 g.

Die Samen beinhalten im Mittel (nach SCHEIBE) folgende Nährstoffe: 17,3 % Rohprotein, 1,3 % Rohfett, 63,8 % N-freie Extraktstoffe, 4,1 % Rohfaser, 2,4 % Asche. Außerdem enthalten die Samen einen Bitterstoff, der bei Menschen, Schweinen und Pferden gefährliche Erkrankungen bewirkt, dagegen fressen Rinder, Schafe und Tauben die Samen ohne jede Schädigung. Durch Dämpfen und Auslaugen können die toxisch wirkenden Stoffe, wie das Lathyrin bei Platterbsen, entfernt werden. Die Berichte über die Schädlichkeit von Erven-Samen sind, wie bei anderen Leguminosen, sehr unterschiedlich und oft widersprüchlich.

KÖRNICKE unterscheidet mehrere Varietäten von V. ervilia:

var. pyamaea; var. macrosperma; var. punchata; var. reticulata.

Von BARULINA werden, hauptsächlich nach der Samenform, 20 Varietäten unterschieden (HEGI).

Saatgut einer Landsorte unter der Bezeichnung "Vicia Ervilia Abyssinica" wurde Anfang der 20er Jahre gehandelt. Diese Form mit dunklen Flecken auf den vergleichsweise großen Samen war wüchsiger und brachte auch höhere Kornerträge als die übrigen, meist aus Frankreich oder Italien stammenden Herkünfte.

Die Erträge schwanken zwischen 9 bis 18 bis 26 dt/ha Körner und 16 bis 18 bis 40 dt/ha Stroh (BECKER-DILLINGEN).

Geschichte und Verbreitung

Vicia ervilia stammt aus dem Mittelmeergebiet. Als Heimatgebiet wird der östliche Mittelmeerraum und die Türkei angesehen. Die ältesten prähistorischen Funde (KÖRBER-GROHNE) stammen aus dem Neolithikum in der Türkei (etwa 5.750 v. Chr.) und aus dem Mittleren Reich in Ägypten (2.000 bis 1.600 v. Chr.). Größere Samenmengen von Vicia ervilia wurden auf dem Peloponnes und anderen Stellen in Griechenland aus der Bronzezeit (12. bis 11. Jahrhundert v. Chr.) gefunden, so daß die Linswicke als eine der dort hauptsächlich genutzten Hülsenfrüchte dieser Zeit angesehen werden kann. Aus Mitteleuropa liegen vereinzelte Samenfunde von Vicia ervilia aus der ältesten Ackerbaukultur der Bandkeramiker vor, die jedoch als Unkrautbeimengungen im Getreide sowie zwischen Erbsen und Linsen angesehen werden müssen. Auch aus der jüngeren Steinzeit wurden Samen von Vicia ervilia in Troja und Phrygien sowie Gezer (altkanaanitische Stadt) in Palästina gefunden. Die alten Hebräer benutzten nach BECKER-DILLINGEN die Pflanze zur Herstellung von Pottasche, die Samen dienten außerdem zur Rindviehmast. Dabei war bekannt, daß eine vorherige Wässerung, vor allem bei der Kälberfütterung, notwendig ist. Für die Fütterung von Eseln wurde die Ervilie nicht empfohlen. Der menschlichen Ernährung dienten die Samen nur in Hungerjahren in Form von Graupen und als Zusatz zum Brotteig.

Auch den Griechen und Römern war die Pflanze sehr wohl bekannt, wobei die Berichte keine klare Trennung zwischen Vicia ervilia und Linsen sowie Wicken und Kichererbsen zulassen. Die Schriftsteller des klassischen Altertums in Griechenland und Italien nennen vielfach die Samen der Linswicke als Mastfutter für Rinder und als Grünfutterpflanze. Schon DIOSKORIDES schreibt, daß die Ervilie ein gutes Viehfutter ist, aber als Nahrungsmittel giftig wirken kann.

In den botanischen Schriften in Mitteleuropa fehlt die Ervilie sowohl im Mittelalter als auch in der Renaissancezeit. Erst 1866 nennt ALEFELD die Pflanze unter der Bezeichnung "Eßbare Erfilie (Ervum sativa LK.) = Stein- oder Wicklinse". Er schreibt dazu: "Trägt reichlicher als die Linse, ist aber von minderkräftigem Geschmacke. Suppenpflanze wie diese".

In Mitteleuropa wurde die Pflanze nur selten angebaut. Am Mittelrhein, im Nahe- und Moseltal, bestand ein kleines Anbaugebiet der "Steinlinse". Heute ist dort und in den trockenen, wärmeren Gebieten Süddeutschlands Vicia ervilia adventiv zu finden. Auch aus der Westschweiz sind kleinere Anbaugebiete aus früherer Zeit bekannt.

Im ganzen Mittelmeergebiet, vor allem in Spanien, Italien, Griechenland und in Vorderasien wurde Vicia ervilia häufig angebaut und ist heute dort stellenweise völlig eingebürgert verwildert. Ihre hauptsächliche Verbreitung liegt in wärmeren Gebieten, besonders auf kalkarmen Böden, sie reicht bis Afghanistan und Nordwestindien.

Nutzung und Verwertung

Der Hauptvorteil von Vicia ervilia liegt in ihrer Trockenresistenz. Hierin ist sie der Wicke und der Linse überlegen. Deshalb war sie bis in die 20er Jahre unseres Jahrhunderts, und ist es auch heute noch, in Südeuropa eine stellenweise angebaute Futterpflanze, die in den Trockengebieten sehr wohl mit anderen in Konkurrenz treten kann. Häufig wird Vicia ervilia grün oder als Heu an Schafe und Rinder verfüttert. Anbaugebiete liegen in Spanien, Portugal, Nordafrika und Westasien. Hier werden auch die wenig schmackhaften Samen in geringem Umfang von Menschen gegessen, oder an Schafe, Rinder und Tauben verfüttert. Der toxisch wirkende Bitterstoff wird, wie schon erwähnt, durch Dämpfen und Auswaschen vorher entfernt.

Die Empfindlichkeit gegen den in der Literatur nicht näher beschriebenen Giftstoff liegt in der Reihenfolge: Schafe, Rinder, Maultiere, Pferde, Schweine. Selbst die Verfütterung als Grünfutter an Schweine ist bedenklich.

FRUWIRTH berichtet von Einfuhren von Samen der Ervilie zu Futterzwecken aus südeuropäischen Ländern nach Deutschland.

Früher wurden die Samen auch offizinell genutzt. HEGI berichtet, daß Ervenmehl gedörrt und gebraten gegen Verschleimung und Harnbeschwerden und sogar gegen Schwindsucht angewendet wurde. Ervilienmehl diente, verarbeitet mit verschiedenen Zusätzen, auch als Salbe der Heilung von Hauterkrankungen und Geschwüren sowie Drüsenverhärtungen.

Weitere Informationen zur Art

Gattung Vicia

Systematik - Unterfamilie Papilionoideae

Rhizobium-Gruppen wichtiger Leguminosae

Bestimmungsschlüssel für die Blätter wichtiger Leguminosae

Darstellung 6: Samen einiger Körnerleguminosen

Äußere Merkmale der zur Kornnutzung geeigneten Gattungen

Tabelle 1: Nährstoffgehalte der Samen von Körnerleguminosen in % (Mittelwerte)

Darstellung 14: Antinutritive Inhaltsstoffe in Leguminosensamen

Roheiweißproduktion der wichtigsten Nahrungspflanzen.

Literatur

ALEFELD, F., 1866: Landwirtschaftliche Flora. Verlag Wiegand und Hempel, Berlin.

BECKER-DILLINGEN, J., 1929: Die Ervilie (Linswicke), Vicia ervilia (L.) Willd. In: Handbuch des Hülsenfruchterbaues und Futterbaues. 126-129. Verlag Paul Parey, Berlin.

SCHEIBE, A., 1953: Die Erve oder Ervilie (Vicia ervilia Willd.). In: ROEMER, SCHEIBE, SCHMIDT, WOERMANN: Handbuch der Landwirtschaft. 2. Aufl., Bd. II: Pflanzenbaulehre. 295. Verlag Paul Parey, Berlin.

FRUWIRTH, C., 1921: Die Ervilie, Vicia ervilia Willd. In: Handbuch des Hülsenfruchterbaues. 3. Aufl., 150-152. Verlag Paul Parey, Berlin.

HEGI, G., 1964: Vicia ervilia (L.) Willd., Wicklinse, Linsenwicke. In: Illustr. Flora von Europa. 2. Aufl., Bd. IV/3. 1512-1514. Verlag Paul Parey, Berlin.

KOERNICKE, E., 1873: Systematische Übersicht der Zerealien und Leguminosen. Poppelsdorf.

KOERBER-GROHNE, U., 1987: Linsenwicke (Vicia ervilia [L.] Willd.). In: Nutzpflanzen in Deutschland, Kulturgeschichte und Biologie. 363-365. Verlag Konrad Theis, Stuttgart.

Bildlegenden

Die Ervilie hat einen aufrechten Wuchs und bildet an der Basis ansetzende kräftige Verzweigungen mit einer tiefgehenden Hauptwurzel aus. Dadurch eignet sich die Linswicke besonders für trockene Standorte.

Die Laubblätter sind 10 bis 15 cm lang mit 8 bis 12 bis 15 Paar versetzt stehenden Blättchen, die abgestutzt in eine kräftige Spitze enden. Die kleinen spitzen Nebenblätter sind teilweise gezähnt.

Die 7 bis 8 mm langen Blüten stehen in 2- bis 4blütigen Blütenständen, die kürzer als die Laubblätter sind. Die Krone ist hellrosa gefärbt, die Fahne gelblich-weiß.

Die Blüten werden häufig von Bienen besucht, so daß es zu Fremd- aber auch zu Selbstbefruchtung kommt.

Die Hülsen hängen an kurzen Stielen schräg nach unten. Sie sind deutlich perlschnurartig eingeschnürt und 1,5 bis 2,0 cm lang sowie 4 bis 5 mm breit. Sie bilden 2 bis 4 Samen aus.

Die Samen haben ein Tausendkorngewicht von 20 bis 60 g, sie sind mittel- bis dunkelbraun gefärbt und überwiegend dreikantig bis unregelmäßig rundlich.

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