Saatwicke (Vicia sativa L. [= Vicia communis Kouy])
Biologie
- Geschichte und Verbreitung - Nutzung
und Verwertung - Weitere Informationen
- Literatur - Bildlegenden
Biologie
Weitere deutsche Bezeichnungen für Vicia sativa sind: Futterwicke, Sommerwicke, Ackerwicke, Taubenwicke.
Vicia sativa ist sommerannuell einjährig, überwinternd-einjährig bis zweijährig. Der kantige Stengel ist einfach oder verzweigt und behaart bis kahl, wie die Blätter. Die Laubblätter sind verschieden: die oberen mit verzweigten Ranken, 3 bis 7 paarige, meist gegenständige, lineare bis breitelliptische Blättchen, die unteren oft verkehrt eiförmig bis herzförmig. Die Nebenblätter sind klein bis mittelgroß, halbpfeilförmig, oft mit einigen Zähnen und meist mit Nektarien an der Unterseite. Die 1,5 bis 2,5 cm großen Blüten stehen an kurzen Stielen, meist paarweise oder einzeln in den Blattachseln. Der röhrige, vielnervige Kelch hat lanzettliche, gerade Zähne, die so lang wie die Röhre sind. Die Krone ist rot-violett oder rosa bis weißlich gefärbt, die Fahne ist meist heller. Auch rein weißblühende und rosa gefärbte Formen kommen vor. Die Blüte beginnt mit dem Aufblühen einer Achse von unten und schreitet nach oben fort. Eine Pflanze blüht 11 bis 14 Tage (FRUWIRTH). Die einzelne Blüte beginnt um 10 Uhr vormittags aufzublühen. Über Nacht klappt die Fahne herab. Eine Blüte kann sich, wenn keine Befruchtung stattgefunden hat, mehrere Tage morgens erneut öffnen. Die Blüten werden häufig von Honigbienen und Hummeln besucht, die vornehmlich den Nektar der Saftdrüsen an den Nebenblättern sammeln. Es kommt neben Fremdbefruchtung recht häufig Selbstbefruchtung vor. Bei erzwungener Selbstbefruchtung ist ein fast normaler Samenansatz gegeben. Die Nektarien auf der Unterseite der Nebenblätter werden meist von Ameisen, aber auch von Bienen, Hummeln und anderen Insekten genutzt.
Die aufrecht bis waagrecht stehenden Hülsen sind lang und enden in einer hochgebogenen Spitze. Sie enthalten 4 bis 12, meist kugelige, 3 bis 4 bis 6 mm große Samen. Diese sind sehr verschieden gefärbt, von graugrün, braun, schwarz bis gelblich weiß. Sie zeigen einen schmalen, 1/5 bis 1/6 des Umfanges einnehmenden helleren Nabel. Das Tausendkorngewicht variiert von 17 bis 50 g bei klein- und mittelsamigen und 120 bis 145 g bei großkörnigen Formen.
Nach HEGI wird die Art Vicia sativa in zwei Unterarten gegliedert:
2. Subspezies obovata (Ser.) Gaud. (= Vicia sativa L. s. str.) Saatwicke, Sommerwicke.
Die "angebaute Saatwicke" hat einen kräftigen, über 1 m hohen, kletternden Stengel. Die Laubblätter mit starken ästigen Ranken haben große Blättchen. Fast alle Merkmale zeigen eine starke Variabilität, so daß viele "Formen" und "Sorten" unterschieden werden können (siehe bei HEGI, FRUWIRTH und BSA).
HEGI nennt als wichtigste Formen zwei Varietäten:
2. var. macrocarpa Moris (= Vicia macrocarpa Bertol.) mit 1,2 bis 1,5 cm breiten und über 5 cm langen Hülsen. Die Blättchen sind groß, ebenso die Blüten bis 3 cm lang. Die Samen erreichen einen Durchmesser von 3,5 bis 5,0 mm (Tausendkorngewicht bis 150 g). Aus dieser aus dem Mittelmeergebiet stammenden Varietät wurden, vor allem in Schweden, zahlreiche Zuchtsorten selektiert, die wegen ihrer großen Samen vornehmlich für eine Kornnutzung geeignet sind.
f. eu.-leganyana (Rapaics et Lengyel) Kiffm. mit linsenförmigen, hellen Samen.
f. leucosperma Ser. hat gelblich-weiße Samen.
Die Nährstoffzusammensetzung in den Samen
der Saatwicke ist mit 26 % Rohprotein, 1,7 % Rohfett, 49,8 % N-freie Extraktstoffe,
6 % Rohfaser und 3,2 % Asche mit der Ackerbohne
vergleichbar (s. Tab. 1). LECHNER nennt Rohproteingehalte in den Samen
von 30 bis 35 %.
Aminosäurezusammensetzung des Proteins der
Saatwicke (g je 16 g N) nach JEROCH et al.:
Arginin | 7,8 | Methionin* | 1,7 | Threonin* | 3,2 |
Cystin* | 0,7 | Phenylalanin* | 3,9 | Tryptophan* | 1,6 |
Histidin | 2,4 | Leucin* | 7,1 | Valin* | 4,2 |
Isoleucin* | 3,8 | Lysin* | 6,7 |
Weiter werden in den lufttrockenen Körnern von
Vicia sativa die Glykoside Vicin und Convicin sowie 0,05 % Blausäure
gefunden, die bei der Verfütterung von größeren Mengen
Gesundheitsschädigungen verursachen können. Durch Einquellen
und Wasserdampfbehandlung können die Wicken entbittert und danach
bis zu 3 kg je Tier und Tag unbedenklich an Milchkühe verfüttert
werden (s. Abschnitt "Nutzung und Verwertung").
Geschichte und Verbreitung
Die Subspezies angustifolia, die in ganz Mitteleuropa, in Westasien und Nordafrika auch heute noch verbreitet wild im Getreide, an Wegrändern und auf Magerwiesen vorkommt, wird allgemein als Stammform von Vicia sativa angesehen. Als Heimat der Saatwicke gilt das Mittelmeergebiet und Vorderasien; von dort wanderte sie mit und im Getreide nach Mittel- und Nordeuropa (bis Skandinavien und Island) und ist hier seit altersher eingebürgert. Weiter wurde die Saatwicke nach Madeira, Madagaskar, Südafrika, Australien, Neuseeland, Polynesien, Ostasien sowie nach Nord- und Südamerika verschleppt und dort teilweise eingebürgert.
Aus Mitteleuropa liegen Hülsenfunde von Vicia sativa-Samen schon aus der Hallstattzeit vor. CATO beschreibt Vicia als Futter- und Gründüngungspflanze. In den beiden ersten Jahrhunderten nach Christus wird die Wicke als feldmäßig angebaute Körnerfrucht für Futterzwecke genannt. Nach BECKER-DILLINGEN wird sie unter der Bezeichnung wickim von der heiligen HILDEGARD erwähnt. Im 14. Jahrhundert beschreibt KONRAD von MEGENBERG Kraut und Samen von wick-vicia als Pferdefutter und als Gründüngung. Im 16. Jahrhundert bezeichnete man die Saatwicke als "Roßwicke", "Feldwicke", "Zahme Wicke" u.a. und beschreibt sie als Futterpflanze . Obwohl die Wicke eine alte Kulturpflanze ist, hat sich ihr Anbau erst in neuerer Zeit mit dem Feldfutterbau stärker ausgebreitet.
Weltweit wurden nach der FAO-Statistik 1948/52 1,5 Mio. ha Wicken zur Kornnutzung angebaut. Dies ergab eine Ernte von 1 Mio. t Wickensamen in der Welt. Die stärkste Ausdehnung des Weltanbaues und der -erzeugung war in den Jahren 1961/65 mit 2,1 Mio. ha und 2,0 Mio. t Samen sowie 1969/71 mit 2,3 Mio. t gegeben. In Europa wurden 1961/65 239.000 ha Wicken zur Kornnutzung mit einer Produktion von 333.000 t Samen angebaut. Danach gingen Anbau und Erzeugung von Wicken zur Kornnutzung stark zurück. Nach 1975 werden Saatwicken in der FAO-Statistik nicht mehr genannt (siehe Tab. 12 u. 13).
Nach BECKER-DILLINGEN betrug der Wickenanbau zur
Körnergewinnung 1927 in Deutschland 34.300 ha mit einem Durchschnittsertrag
von 13 dt/ha.
Darstellung 26: Wicken-Anbau zur Kornnutzung in
Europa in 1.000 ha
Nutzung und Verwertung
Die alten Aufzeichnungen der Römer nennen die Saatwicke als Futter- und Gründüngungspflanze und auch Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts bezeichnen sie als Futterpflanze und "unbräuchlich" für die Küche. Sie wird als Pferde- und Taubenfutter angebaut. In der Medizin wurde Wickenmehl für Umschläge als Purgativum, Cosmeticum u.ä. verwendet. Wickenmehl war einige Zeit Bestandteil der Kraftnahrung "Relaventa arabica".
Der Nährwert der Wickensamen ist, wie schon erwähnt (s. Tab. 1), beachtlich und liegt sogar etwas höher als der von Vicia faba, der Ackerbohne. Der oft nur geringe Blausäuregehalt und der bittere Geschmack lassen sich, wie schon betont, durch einfache Verfahren entfernen bzw. unschädlich machen. In der Tierernährung können Wickenschrote meist unbedenklich an Kühe bis zu 3 kg je Tag und die Samen in beliebiger Menge an Geflügel verfüttert werden. STÄHLIN berichtet jedoch auch von stärkeren Gesundheitsschädigungen, besonders bei Schweinen, durch die Fütterung von Saatwicken.
Auch für die menschliche Ernährung können Saatwicken Verwendung finden. Hierzu werden vornehmlich die weißsamigen Formen benutzt, die weniger Bitterstoffe enthalten sollen. Hierzu gab es Sorten wie "Weiße Linsenwicke", "Große neue Erbslinse", "Weiße amerikanische Perllinse". Auch die dunkelsamigen, abgeflachten, linsenförmigen Typen wurden besonders in Notzeiten als "Linsen" in Suppen- und Breigerichten gegessen. Eine vorherige Entbitterung durch Aufkochen in Salzwasser, das weggeschüttet werden muß, beseitigte die Blausäure und den bitteren Geschmack. Nach neuen Erkenntnissen sind diese Formen keine Kreuzungsprodukte mit Linsen, sondern Vicia sativa-Typen. Nach FRUWIRTH sind jedoch Kreuzungen mit Lens culinaris, bei Verwendung der Linse als Mutter, möglich.
Wickenmehl wurde in Notzeiten häufig auch dem Brot zugesetzt.
Die Saatwicke ist eine anspruchslose Pflanze, sie gedeiht auch auf extremen Böden und unter weniger guten Verhältnissen. Häufig erfolgt ihr Anbau wegen der geringen Standfestigkeit im Mischanbau mit Hafer, Senf oder anderen Stützpflanzen.
Sie ist robust und wird als Kulturpflanze in vielen Gebieten der Erde, von den Subtropen bis nach Norwegen angebaut. In wärmeren Gebieten wird sie als winterannuelle Pflanze genutzt und gedeiht in den Alpen bis zu 1.800 m NN. Die Variabilität ist in allen wesentlichen Merkmalen hoch, so daß gute Voraussetzungen für eine intensive Züchtung gegeben sind. Alle Varietäten und Subspezies sind untereinander kreuzbar.
Ob mit Hilfe von neueren Methoden durch Bastardierungen zwischen verschiedenen Wickenarten die wertvollen Eigenschaften beider Kombinationspartner vererbt werden können, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten.
Zur Zeit liegt der Schwerpunkt der Nutzung in der
Gewinnung von Grünmasse für die Fütterung und Gründüngung.
Weitere Informationen zur Art
Systematik - Unterfamilie Papilionoideae
Rhizobium-Gruppen wichtiger Leguminosae
Bestimmungsschlüssel für die Blätter wichtiger Leguminosae
Darstellung 6: Samen einiger Körnerleguminosen
Äußere Merkmale der zur Kornnutzung geeigneten Gattungen
Tabelle 1: Nährstoffgehalte der Samen von Körnerleguminosen in % (Mittelwerte)
Darstellung 14: Antinutritive Inhaltsstoffe in Leguminosensamen
Roheiweißproduktion der wichtigsten Nahrungspflanzen.
Tabelle 11: Weltproduktion und Hauptproduzenten von Körnerleguminosen
Tabelle 12: Anbaufläche zur Trocken- und Grünkorngewinnung
Tabelle 13: Produktion an trockenen, bzw. frischen Samen oder Hülsen
Tabelle
14: Erträge zur Trocken- und Grünkorngewinnung
Literatur
BECKER-DILLINGEN, J., 1929: Die Saatwicke. In: Handbuch des Hülsenfruchterbaues und Futterbaues. 98-117. Verlag Paul Parey, Berlin.
BSA, 1952-92: Beschreibende Sortenliste des Bundessortenamtes der Jahre 1952 bis 1992. Verlag Alfred Strothe, Hannover.
FAO 1948 bis 1975: Prod. Yearbooks. FAO, Rom.
FRUWIRTH, C., 1921: Futterwicke (Vicia sativa L.) In: In: Handbuch des Hülsenfruchterbaues. 3. Aufl., 124-132. Verlag Paul Parey, Berlin.
FRUWIRTH , C., 1922: Futterwicke (Vicia sativa L.) In: Handbuch der landwirtschaftlichen Pflanzenzüchtung. 4. Aufl., Bd. 3. 134-139. Verlag Paul Parey, Berlin.
HEGI, G., 1946: Vicia sativa L. (= Vicia communis Rouy, incl. Vicia angustifolia L. und Vicia cordata Wulfen). Futterwicke, Ackerwicke, Saatwicke. In: Illustr. Flora von Mitteleuropa. 2. Aufl., Bd. IV/3. 1546-1551. Verlag Paul Parey, Berlin.
JEROCH, H., G. FLACHOWSKY & F. WEISSBACH, 1993: Futtermittelkunde. Verlag Gustav Fischer, Jena und Stuttgart.
LECHNER, L., 1959: Saat- oder Futterwicke (Vicia sativa L.) In: KAPPERT & RUDORF: Handbuch der Pflanzenzüchtung. 2. Aufl., Bd. 4. 74-85. Verlag Paul Parey, Berlin.
MÜLLER, F., 1950: Die Futter- oder Saatwicke, Vicia sativa L. In: Handbuch der Pflanzenzüchtung. Bd. 3: Futterpflanzen. 65-70. Verlag Paul Parey, Berlin.
STÄHLIN, A., 1957: Vicia. In: Die Beurteilung der Futtermittel. Methodenbuch Bd. XII. 389-398. Verlag Neumann, Radebeul und Berlin.
STÄHLIN, A., 1960: Vicia sativa L., subsp.
obovata (Ser.) Gaudin. = Vicia sativa L. s. str. Saatwicke,
Sommerwicke. In: Acker- und Grünlandleguminosen im blütenlosen
Zustand. 148-149. DLG-Verlag, Frankfurt/Main.
Bildlegenden
Die langen Hülsen stehen waagrecht bis aufrecht und enden in einer hochgebogenen Spitze.
Zur Kornnutzung werden meist groß- und hellsamige Typen, var. macrocarpa Moris, forma leucosperma Ser., angebaut.